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Donnerstag, 22. März 2018

Der Untertan von Heinrich Mann

Der Untertan
Diederich zieht seinen Hut vor dem Kaiser

Roman, 365 Seiten
dtv, Auflage Dezember 1964
Ursprünglich erschienen: 1918
ISBN: 3-423-00256-5
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Woher:  geschenkt bekommende Schullektüre


Erster Satz


Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.

Zusammenfassung


Der Untertan von Heinrich Mann erzählt das Leben von Diederich Heßling, von seiner Kindheit, über Studienzeit hin zu den Anfängen als Direktor der geerbten Papierfabrik und seinen politischen Erfolgen.

Der Roman spielt in der Kaiserzeit - Diederich ist national gesinnt und kaisertreu. Er wird vom Vorwort als ein prototypischer deutscher Charakter bezeichnet - gehorchen und befehlen, Opportunist und Mitläufer, ohne Mut oder Zivilcourage.



Persönlicher Eindruck



Der Untertan von Heinrich Mann ist nun 100 Jahre alt. Er zählt zu den Klassikern und ich war sehr gespannt, ihn zu lesen. Leider hatte ich mit diesem Werk multiple Probleme, mein Lesevergnügen war betrübt: 
  1. Unsympathischer Protagonist: Diederich ist ein machtbesessener Opportunist, der nach unten tritt und nach oben buckelt, er ist der Macht verfallen, ihm gefielt es, zu befehlen und zu gehorchen. Selten steht er zu seinen eigentlichen Bedürfnissen. Er ist national gesinnt und kaisertreu. Natürlich ist es von Heinrich Mann so beabsichtigt, Diederich in seiner ganzen Häßlichkeit zu zeigen, und das gelingt ihm auch meisterhaft. Ich sage nur dass es, zusammen mit den ganzen anderen Eigenschaften dieses Romans, die Unsympathischheit des Diederich Heßling nicht gerade dazu betrug, dass der Lesespaß stieg.
  2. Keine Spannung: Auf den ganzen Seiten des Romans kam nicht ein Mindestmaß an Spannnung auf. Diederichs Leben wird geschildert, dabei sind die einzelnen Episoden aber von meiner Warte aus gesehen relativ ereignislos. Am spannensten ist noch sein Liebesverhältnis am Anfang des Buches, dann kommen politische und parteiliche Machtspielchen, bei denen es viel darum geht, wer was warum zu wem gesagt hat. Das bringt mich zum nächsten Punkt:
  3. Mangelnde Verständlichkeit: Die Handlung ist relativ gemäßigt, es geht mehr um Beziehungen, darum, wer was gesagt oder getan hat, um parteiliche Machtpositionen und politische Standpunkte. Grob gesagt sind hier die Kaisertreuen und National gesinnten Männer wie Diederich gegen die Sozialdemokratischen, wie z.B. den alten Buck oder Diederichs Angestellten Napoleon Fischer. Vieles wird nur angedeutet und der Interpretation des Lesers überlassen. Und genau hier liegt mein Problem, denn ich verstehe viele Andeutungen überhaupt nicht. Eventuell bräuchte man ein größeres Geschichtswissen oder mehr Wissen um die kulturellen Besonderheiten der Zeit von Heinrich Mann.
    Ich gebe mal ein Beispiel:
"In vier Wochen", sagte er merkwürdig ernst und gefaßt, "werden Sie es selbst sehen. Vielleicht ist es vorzuziehen, wenn Sie die Öffentlichkeit schon jetzt darauf vorbereiten." Diederich, ergriffen wider Willen, fragte: "Was haben Sie vor?" Und Jadassohn, bedeutungsschwer, mit dem Lächeln eines opfervollen Entschlusses: "Ich stehe im Begriff, meine äußere Erscheinung in Einklang zu bringen mit meinen nationalen Überzeugungen"... Als Diederich den Sinn dieser Worte erfaßt hatte, konnte er nur noch eine achtungsvolle Verbeugung machen; Jadassohn war schon fort.
Mir ist nicht klar, welche äußere Erscheinung die innere nationale Gesinnung widerspiegelt, warum das ganze in vier Wochen geschehen soll, warum die Öffentlichkeit darauf vorbereitet werden muss. Warum ist Jadassohn opfervoll und warum macht Diederich eine achtungsvolle Verbeugung? Keine Ahnung. Hier geht irgendetwas vor sich, aber was, davon habe ich keine Ahnung. Und in diesem Stil geht es leider ständig zu, das macht auf Dauer einfach überhaupt keinen Spaß. Später kam in diesem Beispiel raus, das Jadassohn sich seine großen Ohren verkleinert gelassen hat.

Auch viele Wörter kannte ich leider nicht. Oft kam ein "Komment" vor, das extrem wichtig zu sein scheint. Und Diederich "blitzte" oft, so oft blitze er, dass es mich schon total genervt hat, wenn er wiedermal "blitzte", zumal ich mir gar nichts richtig drunter vorstellen kann. Klar, er schaut wohl irgendwie bös, aber warum das "blitzen" genannt wird, keine Ahnung.
Einige Stellen von "der Untertan" schienen mir bemerkenswert, weshalb ich diese hier kurz ansprechen will:
  • die Kindheit Diederichs, er ist ein Kind, dass eher nach der träumerischen Mutter kommt, aber so sein will wie der Vater. Wenn er von ihm verhauen wird, findet er das "sehr in Ordnung", ja, sehnt sich geradezu nach dieser Demonstration von Macht. Im übrigen selten etwas über solch ein unsympathisches Kind gelesen.
  • die Studienzeit Diederichs, hier fand ich die Burschenschaftverbindung Neuteutonia interessant. Es herrscht dort eine ziemlich eigene Kultur und ein seltsamer Ehrbegriff, der Diederich sehr anzieht. Sie saufen viel, aber das hat auch eine komische Bewandtnis, ansonsten herrschen Korpsgeist, Ordnung, Pflicht.
  • das Verhältnis mit Agnes. Eigentlich eine schöne Verbindung, aber Diederich setzt es voll in den Sand. Agnes Emotionen empfindet er als Manipulationsversuche. Er schläft mit ihr, weigert sich dann aber, sie zu heiraten - was doch eigentlich gegen seinen Ehrbegrifff gehen sollte. Die ganze Geschichte ist als Leser kaum auszuhalten, soviel Dummheit.
    Und mit Empörung: "So eine hysterische Person!" ... "Die Weiber sind zu gerissen, und sie haben keine Hemmungen, da kommt unserereiner nun mal nicht mit. Diesmal hat sie mich, weiß Gott, noch ärger an der Nase herumgeführt als damals mit Mahlmann."
  • Diederich, der Fabrikbesitzer, gefällt sich in seiner Machtposition. Seinen Arbeitnehmern verbietet er, etwas anderes als national zu wählen. Auch müssen sie Sonntags in die Kirche. Liebeleien am Arbeitsplatz unterbindet er. Auch in seiner Familie ist er der Mann im Haus, zumindest sieht er sich so.
  • Fürsprecher eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals, das er propagiert. Bloss nicht das Säuglingsheim, das eigentlich im Gespräch war (man will schließlich nicht schamhafte Verhältnisse fördern mit dem Säuglingsheim sondern vielmehr das nationale Gesinnen).
  • Diederich, der national gesinnte: Wenn man weiß, dass nur kurz nach Abschluß des Manuskriptes der erste Weltkrieg ausbrach, der von Nationalen Gefühlen geprägt wurde (und dann später wie die Nationalsozialisten das Land beherrschen), dem laufen natürlich Schauer über den Rücken über die nationale Gesinnung der Männer, ihre Vorstellung von Ordnung, das Vorgehen gegen "Umstürzler" und Andersdenkende, wie den alten Buck.
  • Auch gegen Ende das Privatleben von Diederich schien mir äußerst originell und bestürzend lieblos.

 

Lesen oder nicht?


Alles in allem ist der Roman durchaus interessant, weißt aber für den heutigen Leser  zu viele Längen auf und hinterlässt einen oft wie blöde.

Als Schülerlektüre empfehle ich (obwohl ich das selber immer abgelehnt hab und als Schülerin auch nie getan hab), zu einem Begleitbuch zu greifen, sofern die Handlung nicht im Unterricht mit erläutert wird. Oder gleich die Verfilmung angucken, ich hab gehört, diese soll ganz gut sein.

Ich bereue durchaus nicht, den Roman gelesen zu haben und einen Eindruck bekommen zu haben, fühle mich aber andererseits nicht so, als hätte ich den Roman schon vollständig verstanden und bin ehrlich gesagt auch froh, dass ich fertig bin mit Lesen.

Gesamtbewertung: 🌞

Trotz der wichtigen Botschaft konnte ich leider nur einen Stern vergeben, zu dominant empfinde ich meine Kritikpunkte und ich schätze es nicht, wenn ein Buch überhaupt keine Lesefreude auslöst. Ich war nahe am Abbrechen des Buches.


3 Zitate


Diederich verwirrte sich. "Im ersten Moment weiß man doch nicht, was man sagen soll. Aber wenn ich mir den fraglichen Vorgang jetzt rekonstruiere, dann scheint es mir doch, daß wir alle ziemlich stark angeheitert waren. Ich besonders." [S. 137]

Der Bürgermeister murmelte: "Ihre Energie und anständige Gesinnung in Ehren - "
"Meine hochanständige Gesinnung!"
"Freilich ...  Aber Sie sind ein politischer Heißsporn, mein junger Freund. Die Stadt ist noch nicht reif für Sie. Wie wollen Sie mit ihr fertig werden?" [Zufallszitat, S. 218]dtvd

Eisern stand er vor ihr, ordenbehangen, eisern und blitzend. "Bevor wir zur Sache selbst schreiten", sagte er abgehackt, "gedenken wir Seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers. Denn die Sache hat den höheren Zweck, daß wir Seiner Majestät Ehre machen und tüchtige Soldaten liefern." [S. 276]

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2 Kommentare:

  1. Oh jeeee, liebe Daniela! Das war wohl nix! Sehr schade! Gut, dass es dich nicht in eine Leseflaute gesteuert hat. Ich höre heraus, dass du dich sehr, sehr lange durchs Buch gequält hast.

    Ich persönlich würde so ein Buch nie ohne ein Begleitbuch, wie auch immer sie heißen, lesen. Sie sind in einer bestimmten Zeit mit einer bestimmten Botschaft geschrieben worden. Wenn man darin nicht firm ist, hat man tatsächlich keine Lesefreude. Solche Bücher sollte man aber begreifen. Schade, dass du dies ablehnst. Zu jedem meiner Klassiker habe ich im Regal eine Erklärungshilfe stehen. Manchmal lese ich diese sogar zuerst, um dann den hoffentlich vollen Genuß der Lektüre zu haben.
    Aber ok, immerhin hast du jetzt einen Klassiker für den Monat März! hihi
    GlG vom monerl

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    1. Hallo monerl,
      hört sich blöd an, aber bisher hab ich es noch nie "nötig" gehabt, mir ein Begleitbuch dazuzukaufen. Bei diesem hier ab ich aber schon nach dem ersten Drittel damit geliebgeäugelt, mir eins anzuschaffen. Also - ich lehne das nicht grundsätzlich ab. :D
      Ich hab aber sowieso so viel Arbeit und Geschäft gehabt, dass ich keine Muse für eine entsprechende Suche hatte und einfach jeden Tag ein paar Seiten gelesen.
      Ich denke, jetzt im Nachhinein werd ich mir aber nochmal ein paar Internetseiten zum Thema zumindest durchlesen.

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