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Samstag, 28. Oktober 2017

Memory Game von Felicia Yap

Das Denken der Gedanken...

Roman, 448 Seiten
Penhaligon, September 2017
Genre: Fiktionaler Krimi
ISBN:  978-3764531829
hier das Buch bei Amazon


Woher: Gelesen im Rahmen der Leseaktion des Bloggerportals



Erster Satz

Ich will dir ein paar schreckliche Geheimnisse verraten.


Zusammenfassung

Als die Leiche einer Frau gefunden wird, gerät Claire und Marks Leben in Aufruhr. Denn die Tote wird identifiziert als Sophia, Marks Geliebte. Claire fällt aus allen Wolken.
Der Polizist Hans ermittelt. Und das ist nicht einfach, denn in dieser alternativen Welt haben die Menschen nur ein extremes Kurzzeitgedächtnis, sie erinnern sich einen bis höchstens zwei Tage zurück, dann haben sie alles wieder vergessen - nur das, was sie sich am Abend zuvor in ihr Tagebuch geschrieben haben, können sie auswendig lernen.



Persönlicher Eindruck


Mir hat das Lesen von Memory Game ungeheuer Spaß gemacht. Ich hab es im Rahmen einer Leseaktion zusammen mit anderen Bloggern gelesen, wir konnten uns unter dem #memorygamelesen austauschen. Meine vier Blogposts zur Leseaktion findet ihr hier, hier, hier und hier. Viele Fragen zur Handlung und zur Philosophie dahinter haben wir uns gestellt und beantwortet. Sogar einen Livechat mit der Autorin gab es, in dem sie uns viele offene Fragen beantwortet hat.

Handlung


Die alternative Welt, die die Autorin entworfen hat, ist spannend und wirft viele Fragen nach der Logik auf (wie funktioniert dieses kurze Gedächtnis genau). Ich konnte mich auf diese alternative Realität gut einlassen und war fasziniert davon.
Ich habe keinerlei bleibende Bilder im Kopf, keine sensorischen Schnappschüsse von, sagen wir, letztem Montag. ... Das, was am Montag wirklich von Bedeutung war, steht ausführlich in meinem Tagebuch. [Hans, S. 83-84]

Durch die Überzeichnung eines schlechten Gedächtnisses postuliert sie gleichzeitig gewichtige Aussagen über unser Gedächtnis. Mir hat es viel Spaß gemacht, über "Erinnerungen", "Gedächtnis" und ihre Bedeutung nachzusinnieren.
Das Gedächtnis erlaubt es einem vor allem, das große Ganze zu sehen. ... Man bemerkt die subtilsten Hinweise und Fingerzeige. Erkennt mögliche Zusammenhänge. Kann die Dinge in einen Kontext setzen ... Man kann Schnappschüsse und Fragmente zu einem einheitlichen Gesamtbild zusammenfügen und Verknüpfungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen. [Sophia, S. 289]
Im Nachhinein verstand ich, dass Vergessen auch etwas Tröstliches haben konnte. 
Aber ich konnte nicht mehr vergessen. [Sophia, S. 77]
In diesem Buch können sich die Protagonisten sicher sein, dass das, was man gelernt hat, auch wirklich den Tatsachen entspricht, denn schließlich wissen sie nur das, was sie in ihr Tagebuch schreiben und auch gelernt haben.
"Wofür man sich zu erinnern entscheidet, wird zur Tatsache..." [S. 398]
Die Autorin setzt dieses Prinzip im Roman um, sowohl die Vergangenheit als auch die vollständige Sicht auf die Charaktere wird erst nach und nach enthüllt .Es ist wie in Gelatine schwimmen, so erfährt man am eigenen Leib die Schwierigkeiten, die auch die Protagonisten haben. Beispielsweise war mir Mark erst sehr unsympathisch (Er ging fremd! Vielleicht hat er seine Geliebte ermordet!), doch dann wurde er mir sehr sympathisch und mein Lieblingscharakter (seine Gründe für alles und was er tatsächlich tut!)
Weil es die Gesamtsumme aller kleinen Gesten ist, an die man sich erinnert, die der Liebe ihre Macht verleiht. [Sophia, S. 269] 

 
Auch das Ermitteln ist schwer in dieser Welt, denn auf das Gedächtnis der Leute ist nicht Verlass. Hans tut deshalb alles dafür, den Fall innerhalb eines Tages abzuschließen. Erschwerend kommt für ihn hinzu, dass er ein Mono ist, und nur vorgibt, ein Duo zu sein.
Diesen Fall vor Tagesende lösen, solange ich noch alles im Kopf habe. ... Wenn ich die Ermittlungen am Montag wiederaufnehme, habe ich ... nichts weiter als ein paar mickrige Fakten auf meinem Diktaphon, in meinem Notizbuch und auf meinem iDiary. [Hans, S. 70] 

Die Unterschiede zwischen Monos und Duos erscheinen uns vielleicht sehr klein, für die Menschen in dieser alternativen Welt sind sie aber sehr relevant. Monos werden diskriminiert, bekommen die schlechteren Jobs, usw.
Dass Mark wie die meisten Duos uns Monos insgeheim für beschränkt hält, verschlimmert die Sache noch. Er hält uns für geistig minderbemittelt, weil wir nicht mehr wissen, was vor zwei Tagen war. [S. 25]




Charaktere 


Claire: Ein Mono, Hausfrau, mit Mark verheiratet. Findet raus, dass er eine Geliebte hat/hatte
Es wird höchste Zeit, meinen Ehemann zur Rede zu stellen. Diesen verlogenen Mistkerl. [S. 116]
Jetzt weiß ich also, was geschieht, wenn ich mir meine eigenen Einträge nicht einpräge: Es fühlt sich an, als hätte ich einen Teil meiner Existenz ausgelöscht. [Claire, S. 115]


Mark: Ein Duo, erfolgreicher Romanautor mit politischen Ambitionen. Verheiratet mit Claire, hatte eine Affaire mit Sophia.
"Und wie genau steht Sophia Ayling mit Mark Evans in Verbindung?"
"Die eine behauptet, sie hätten miteinander gefickt. Der andere sagt, das hätten sie nicht." [S. 67-68]


Hans: Der Polizist, der im Mordfall Sophia ermittelt. Er ist ein Mono, aber gibt vor, ein Duo zu sein.

Woher will den irgendwer wissen, dass ich ein Mono bin, wenn ich es geheim halte? ... Ich werde mir von jetzt an besonders detaillierte Notizen machen und die Einträge gewissenhaft auswendig lernen. [Tagebuch von Hans Richardson, 1990; S. 60]

Sophia: Die Tote. Marks Geliebte. Erinnerte sich nach einem Unfall an alles, was passiert ist. Kommt einem zunächst sehr vernünftig war, doch dann merkt man, wie sehr sie von Rachegefühlen erfüllt ist und dass sie wahnhafte Vorstellungen hat. Trotzdem ist sehr intelligent mit erstaunlichen Erkenntnissen über das Gedächtnis (oder auch nicht erstaunlich, schließlich ist sie in dieser Welt eine der wenigen Personen mit Vollgedächtnis).
Sophia Aylings Behauptung, über ein vollständiges Gedächtnis zu verfügen, entbehrt jeder Logik und wissenschaftlichen Grundlage.
Das ist so ziemlich das Lächerlichste, was mir je zu Ohren gekommen ist. [Hans über Sophia, S. 62]
Unergründliche boshafte Bemerkungen, gepaart mit einer ordentlichen Portion Irrsinn, da kann selbst der abgebrühteste Bulle nicht widerstehen. [Hans über Sophias Tagebuch, S. 162]
Ihr Schriftsteller-Liebhaber hat über sie gesagt, sie sei "ziemlich aus dem Gleichgewicht" gewesen. Ihre Nachbarin fand sie "nett" und "bezaubernd". Und ihr Psychiater-Geliebter beschrieb sie nun als "lebendig" und "aufgeschlossen". [S. 193]

Eigentlich sind alle Charaktere sehr tiefgründig, erst nach und nach erfahren wir Details ihrer Vergangenheit. Das Problem ist, dass sogar manchmal die Protagonisten Dinge vor sich selber verstecken. Teilweise heftig, was die Vergangenheit plötzlich enthüllt.



Sprache


Die Sprache ist leicht und flüßig zu lesen. Treibt die Geschichte vorwärts.

Die Erzählungen der Personen erinnern eher an Schriftsprache. Die Autorin biegt das hin, indem Mark ja selber Autor ist und Hans sich in der Vernehmung an den Schriftsteller anpasst, "die Ereignisse auf die gleiche fantasievolle, überzeichnete Weise schilder[t], wie er selbst es tun würde" [S. 402]. Trotzdem ist es erst mal ein komisches Stilmittel.


Stil


Die Kapitel sind in der Ich-Form geschrieben, in der Überschrift steht, aus wessen Sicht gerade erzählt wird. Zwischen den Kapiteln sind Zeitungsartikel, Tagebuchauszüge, Richtlinien etc, die das Leben in dieser alternativen Welt erläutern, z.B. die Offiziellen Richtlinien für Monos und Duos anlässlich ihrer Transition am 18ten/23ten Geburtstag (S. 50):
Machen Sie sich bewusst, was Fakten sind. Fakten sind Details, die man aus Tagebüchern lernt ... [S. 50]

Die Kapitel von Claire, Mark und Hans sind in der Jetzt-Zeit des Romans geschrieben, die von Sophia liegen in der Vergangenheit des Romans (ab 2013) und nähert sich der Jetzt-Zeit an. Spannend sind die Ausflüge in die Vergangenheit, als Claire, Mark und auch der Polizist Hans herausfinden wollen, was vor 20 Jahren geschehen ist. Die Tagebücher und alte Vernehmungsprotokolle sind eine gute Basis, doch erst mit dem heutigen Wissen können Verknüpfungen gezogen werden. Nur langsam enthüllt sich das Bild der Vergangenheit - es muss vergleichbar sein mit dem, wie die Protagonisten sich ihre Vergangenheit zusammenpuzzeln.




Lesen oder nicht?



Das Buch ist spannend, man kann es kaum zur Seite legen, weil man wissen will, wie alles zusammenhängt. Ein ungewöhnlicher Krimi, der durch die schrittweise Enthüllung der Vergangenheit seinen besonderen Reiz bekommt und der uns dazu bringt, unsere Ansichten über Erinnerungen neu zu überdenken.



3 Zitate


Hausfrauen wie ich sind dazu verurteilt, ihre täglichen Erfolge daran festzumachen, wie viel sie saubergemacht oder aufgeräumt haben. [Claire, S. 25]

Wenn du frei sein willst, solltest du wenigstens versuchen, normal zu erscheinen. Und zwar, indem du in dein Tagebuch schreibst, meine Liebe. [Zufallszitat, Mariska zu Sophia, S. 57]

Eine leise Stimme meldet sich in meinem Kopf. Sie wirft mir vor, ich hätte härter an mir arbeiten sollen, damit ich alle Fakten im Zusammenhang mit unserer Ehe auch wirklich verstehe, statt sie nur mechanisch auswendig zu lernen. [Claire, S. 100]




Weitere Meinungen

  • Buchlieblinge ist begeistert von den vielen Überraschungen und Wendungen und vergibt 5 Sterne
  • Damaris liest fand den Thriller anziehend, dennoch aber durchschnittlich
  • Kerstins Kartenwerkstatt hat während dem Lesen mitgerätselt, das Ende war für sie überraschend 
  • Goldkindchen hat eine Nacht lang durchgelesen. Sie empfiehlt das Buch allen, die unsere Welt hinterfragen wollen.
  • Miss Norge bezeichnete Sophia als gerissenes Luder und meint, dass die Ungewissheit das Buch trägt 
  • lilstar hatte keine Freude, weil sie die Ausgangssituation unlogisch fand



Ich freue mich über eure Kommentare.

2 Kommentare:

  1. HI
    danke das du mich weiter empfohlen hast :). Du hast einen ganz anderen Stil eine Rezension zu schreiben, als ich, und ich finde es interessant wie du es machst. Allerdings darf man so viele Zitate aus einer Rezension nehmen? Mir sagte mal ein Verlag nur zwei bis drei Zitate. Dennoch ist das keine Kritik nur eine Frage :). Ich finde wie gesagt toll, dass du deinen ganz eigenen Stil hast, den ich so noch nicht oft gesehen habe.
    Lieben Gruß
    Nicole

    ps:: Nur die letzten 150 Seiten hab ich in der Nacht durchgelesen ;).

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  2. Hallo Nicole,
    hmm... ich hab mir deine Rezension jetzt nochmal angeguckt und ich finde doch viele Gemeinsamkeiten, du hast es z.B. auch unterteilt in Handlung, Charaktere, Zitate etc.
    Ich mache in die Rezension auch nicht immer soviele Zitate, dieses Buch ist eine Ausnahme, weil ich soviel zitier- und merk-würdig fand. Hoffentlich darf ich das, sonst lösch ich die Zitate eben wieder :D
    Grüße
    Daniela

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