[Rezension] Nacht über Tanger von Christine Mangan

Alice hat sich in Tanger in Marokko in ihre Wohnung zurückgezogen. Sie lebt hier seit etwa einem Jahr zusammen mit ihrem Mann John, doch die Stadt ist ihr fremdgeblieben und die Ehe läuft nur leidig. Da taucht wie aus dem Nichts ihre alte Schulfreundin Lucy auf. Mit ihrer forschen Art erobert sie sich Tanger im Sturm.

Doch bald bekommt Alice das Gefühl, von Lucys Art überfordert zu werden. Erinnerungen an einen schrecklichen Unfall in beider Vergangenheit und eine immer drückendere Atmosphäre kennzeichnen die Beziehung der beiden. Die Freundschaft wird immer komplexer und balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Liebe und Hass, Wirklichkeit und Wahn.

Persönlicher Eindruck

Das Hörbuch hab ich bei Emma von Ge(h)schichten gewonnen. Ich dachte zunächst, aufgrund des Covers, an eine leichte Reise- oder Liebesgeschichte. Als ich merkte, dass es ein Thriller ist, hing ich schon tief drin in Tanger. (Ja, ich weiß, wer den Klappentext richtig durchliest, ist im Vorteil...)

Alice und Lucy sind grundverschiedene Frauen. Alice ist eher mädchenhaft, naiv, vertrauenselig, lässt sich bevormunden und es fällt ihr schwer, so schien es mir, für sich einzustehen. Lucy hingegen ist barsch, forsch, weiß, was sie will und wie sie es will, überhaupt nicht schüchtern und kein bisschen naiv.




Lucys Begeisterung, ja Liebe, für Alice hat sich mir kaum erschlossen. Die etwas apathische Alice hat mich mehr und mehr genervt. Vor allem, wenn sie einen Sachverhalt mit wenigen Worten aufklären könnte und es dann aus irgendwelchen Gründen nicht tut.

Andererseits konnte ich nachvollziehen, dass sich Alice von Lucy nicht nur gestärkt, sondern auch bedroht fühlt. Die Vergangenheit und die Beziehung zwischen den Beiden legt sich nach und nach wie ein Schatten über Tanger.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Alice und Lucy erzählt. Im Hörbuch wechseln sich zwei Frauenstimmen ab, ihre Klangfarben passen gut zu den beiden Frauen. Etwas blumig für Alice, etwas heiser und tiefer für Lucy.

Tanger ist eine Art dritter Protagonist. Es scheint fast so, als wäre es nicht nur eine Stadt, für John, für Alice und besonders für Lucy. Plätze werden beschrieben, Atmosphären, und wie die Stadt tickt. Für Alice ist sie bedrohlich, für Lucy voller Möglichkeiten und John hat sein Herz an diese Stadt verloren.


Die Autorin beschreibt psychologisch tiefgründig die Beziehung der beiden Frauen. Bald ist man selbst verstrickt in Wahrheiten, in Lügen, in Dinge, die man sich nur einbildet und Dinge, die vielleicht geschehen könnten. Ein unglaublicher psychologischer Spannungsbogen zieht sich durch das Buch.

Etwas die Spannung nahm, dass Lucy Alice so haushoch überlegen ist. Eine ebenbürdige Frau wäre vielleicht interessanter gewesen. Zudem haben mich die vielen Wiederholungen von "sie schüttelte den Kopf" und "sie runzelte die Stirn" im Verlauf des Buchs etwas gestört. Hinzu kommt, dass das Thrillergenre nicht so richtig meins ist. Ich fühl mich beim Lesen/Hören immer etwas innerlich getrieben, wie von einer juckenden Wunde, die man aufkratzen möchte.

Lesen oder nicht?

Für mich persönlich nur drei Sterne, weil es mir zu spannend war :); mich wühlen Thriller immer sehr auf. ⭐⭐⭐ Für das Buch an sich und davon ausgehend, dass das Genre nunmal ist, was es ist, vergebe ich mehr Sterne: ⭐⭐⭐⭐, da es wirklich spannend geschrieben ist und so gekonnt beschreibt, wie die Beziehung in einen wahnhaften Strudel gerät. Thrillerfreunde - und Freunde von Marokko - werden auf ihre Kosten kommen.

Bibliographische Daten

Titel: Nacht über Tanger
Autor: Christine Mangan
Sprache: Deutsch
Genre: Thriller

Gebundene Ausgabe, 368 Seiten
Verlag: Karl Blessing  August 2018
ISBN-13: 978-3896676030

Originaltitel: Tangerine
Originalsprache: Englisch
Übersetzerin: Irene Eisenhut

Hörbuch, ungekürzte Ausgabe
Verlag: Random House Audio August 2018
ISBN-13: 978-3837143126
Sprecherinnen: Bibiana Beglau &  Friederike Kempter