Montag, 5. August 2019

[Rezension] Afghanistans verborgene Töchter: Wenn Mädchen als Söhne aufwachsen von Jenny Nordberg

Buchvogel hebt das Buch hoch
Buchvogel ist froh,
eine Frau in Deutschland zu sein

Das patriachale Gesellschaftssytem in Afghanistan bietet Frauen und Mädchen keine Freiheit und keine Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben. Zwangsverheiratung ist an der Tagesordnung und sie haben weniger gesetzliche Rechte.

Frauen und Mädchen sind auch im Alltag kaum sichtbar. Aus wirtschaftlichen, magischen oder gesellschaftszwängenden Gründen heraus sind jedoch einige der Jungen auf den Straßen eigentlich Mädchen. Sie werden als Jungen aufgezogen und genießen viele Freiheiten; sie dürfen laut sein, rennen, toben, spielen und anderen in die Augen sehen.


Mein hauptsächliches Gefühl beim Lesen war ein ungläubiges "Aber... das geht doch nicht". Es geht nicht, dass Männer ihre Frauen verprügeln dürfen und kein Gericht und niemand sich darum schert. Dass 14-jährige verheiratet werden. Dass eine Frau ein Festmahl bekommt, wenn sie einen Sohn zur Welt bringt, aber unter Umständen Schläge, wenn es ein Mädchen wird. Die Frau kann nämlich durch pures Wollen das Geschlecht des Kindes beeinflußen und wenn es ein Mädchen wird, hat sie sich nicht fest genug einen Jungen gewünscht, es ist also ihre Schuld- sagt die afghanische Gesellschaft.



Kleinere Mädchen leben noch relativ gut, doch auch sie werden schon dazu angehalten, nicht so wild so spielen wie die Jungs, und alleine nach draußen dürfen sie schon gar nicht. Zudem zählt die Meinung der Jungen in der Familie mehr, sie werden verwöhnt und bekommen das bessere Essen.
Doch mit Einsetzen der Pubertät dürfen Mädchen dann defacto gar nichts. Sie dürfen sich nicht mehr auf der Straße blicken lassen, die Kleidung darf nicht das kleinste bisschen ihrer Figur zeigen; davon, mit Jungs zu reden, ganz zu schweigen.


Seitenansicht mit Stempel "Mängelexemplar"
Mängelexemplar - nie war dieser Buchstempel passender...



Die Aufgabe einer Frau ist klar: Kinder gebären. Gerne so 10 Stück, und bitte alles Söhne. Zumindest ein Sohn sollte es drin sein. Ansonsten - siehe oben... (Die Frage, was die Überbevölkerung mit dem Land macht, wird im Buch nicht gestellt, wäre aber weitere Betrachtungen wert.)

Was Frauen und Männer in Afghanistan wirklich unterscheidet, ist Freiheit. Die Freiheit, über das eigene Leben zu verfügen; zu wählen, wenn man heiratet oder was für einen Beruf man ausübt und ob überhaupt, diese Freiheit haben Frauen nicht.

Jenny Nordberg schaut genauer in diese patriachalische Gesellschaft und stellt die kleinen Fluchten für Mädchen vor. Manche Mädchen werden aus diversen Gründen als Jungen ausgegeben von ihren Familien, als "bacha pochs". Beispielsweise hat die Familie nur Mädchen, und ein "Junge ehrenhalber" ist immer noch besser als gar kein Junge. Oder man hofft, dass sich auf eine Art magische Weise dann doch noch ein Junge einstellt. Ärmere Familien brauchen auch oft die tatkräftige Unterstützung ihrer Kinder, die mit Geld verdienen müssen. Und da sich das für ein Mädchen nicht schickt, werden diese dann als Jungen ausgegeben.

Neben Kindern stellt Jenny noch rebellische Jugendliche vor, die nicht vorhaben, ihr Jungendasein aufzugeben und Ältere Frauen, die genau dies geschafft haben. Und einen Vater, der Großes mit seinen Töchtern vorhatte und an den Realitäten gescheitert ist.

Ein faszinierender Einblick in eine mir völlig fremde Kultur.


Lesen oder nicht?


Empfehlenswert für alle, die über ihre eigene Kultur hinausschauen und/oder einen neuen Blick auf Geschlechterrollen werfen wollen.

⭐⭐⭐⭐⭐


Bibliographische Daten


Titel: Afghanistans verborgene Töchter
Untertitel: Wenn Mädchen als Söhne aufwachsen
Autor:Jenny Nordberg

Ausgabe: Hardcover
Seitenzahl: 432
Verlag: Hoffmann und Campe
März 2015
ISBN-13: 978-3455503494
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Originaltitel: The Underground Girls of Kabul: In Search of a Hidden Resistance in Afghanistan
Erschienen 2014
Übersetzer: Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß




Ich danke monerl für das Ausleihen!


5 Kommentare:

  1. Es ist zum Haare raufen!
    Wie im Mittelalter.

    Und das mit den 10 Kindern finde ich auch verrückt.
    Ich weiß, das mit den vielen Kindern, der großen Familie ist eine andere Kultur. Und meinetwegen: So lange sie die Kinder ernähren können. Doch das können viele Familien ja gar nicht! Keine Ahnung, wie es in Afghansitan ist, aber wenn ich da an Indien denke.... Was ich schon auf meinem Blog geschrieben habe. Wenn sie dann die Mädchen verkaufen. *WUT*
    Ich denke das auch bei manchen Flüchtlingen. x Kinder sollte man erst bekommen, wenn man sie auch selber versorgen kann. Und ich rede hier nicht von ein oder zwei Kindern.

    Grauenhaft, die Welt da draußen.

    Liebe Grüße
    Petrissa

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    1. Hallo Petrissa,
      da bin ich ganz bei dir, mit den vielen Kindern und dem Ernähren-Können...

      Mir ist noch eine Stelle prägnant im Gedächtnis geblieben. Die Autorin beobachtet in einem Dorf wie ein kleines Mädchen mit verfilzten Haaren und verrutschtem T-Shirt die Straßen entlangläuft und draußen spielt. Dieses Kind, wird ihr gesagt, sei nicht ganz richtig im Kopf. Niemand wird es später heiraten. Somit ist auch völlig egal, ob sie draußen ist und dort halbnackt rumläuft oder nicht. Ihr Ruf spielt keine Rolle...

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  2. Hey Daniela,
    hab ich hier wirklich noch nicht kommentiert? Schau doch mal bitte nach! Kann mir das nämlich gar nicht vorstellen!
    GlG, monerl

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    1. Hi monerl,
      nein, ich sortier den Spam immer von Hand aus; leider kein Kommentar von dir :(

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    2. Das Buch werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen! Immer wieder kommen meine Gedanken auf die Frauen aus dem Buch und in Afghanistan allgemein, zurück. Eines ist natürlich klar, eine Gesellschaft kann sich so nicht entwickeln, kann keine Fortschritte nach vorne machen. Frauen sind die zweite Seite der Medaille und nur mit ihnen ist eine Gesellschaft vervollständigt. Und natürlich ist es einfach das Recht auf Freiheit! Jeder MENSCH sollte dieses Recht haben und nicht gezwungen sein, sein biologisches Geschlecht aufgeben zu müssen, um frei zu sein.

      Dieses Video habe ich gerade letzte Woche geschaut und gestaunt. Auch dieses hier ging mir sehr nah.

      Ich hoffe sehr, dass die Frauen dort irgendwann eine echte Revolution werden starten können um ihre Rechte, Anerkennung und Freiheit zu bekommen.

      GlG, monerl

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