Buchvogel rezensiert
Isabella Nadolny: Providence und zurück
Nach dem Tod ihres Mannes reist Isabella in die Vereinigten Staaten.Buchvogel mit Buch vor Landkarte |
Roman, 159 Seiten
dtv, Juni 1991
Genre: (semi-)biographischer Entwicklungsroman
ISBN: 3-423-11392-8
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Meine Rezension des Vorgängerromans hier
Woher: Bücherschrank Ettlingen
Erster Satz
"Wenn du", sagte mein langer Sohn, der einst der kleine Dicki gewesen war, "zum Beispiel nächsten Mittwoch losfährst, bist du Ende der Woche in Providence."Zusammenfassung
Isabella ist frisch verwitwet. Ihre Schwiegermutter ermutigt sie, die Einladung einer alten Freundin nach Providence in die Vereinigten Staaten anzunehmen. "Dort weiß niemand, daß du traurig sein mußt." sagt sie.Und so fährt Isabella. Doch sie fühlt sich fremd auf dieser Reise, nichts dringt wirklich an sie heran. "Was hatte ich mir davon versprochen, in ein fremdes Land zu fahren, zu einer mir seit Jahrzehnten fremd gewordenen Frau? ... Laß es sie nicht merken, daß es eine Fehlentscheidung war, dachte ich."
In diesem Buch geht es um das Leben nach dem Tod eines geliebten Partners. Und um die Erkenntnis, dass das Leben schlußendlich doch einfach weitergeht und man weiterlebt.
Persönlicher Eindruck
Der Nachfolger von "Ein Baum wächst übers Dach", ist in meinem Augen nicht ganz so gut wie ebenjener, das liegt aber allein am traurigen Sujet. Eine Geschichte über eine frische Witwenschaft, da kommt eben keine überschwängliche Freude auf. Und doch hat die Autorin hier wieder ein meisterhaftes Buch vorgelegt, das bei aller Trauerbewältigung dennoch Lust macht, sich dem Leben zuzuwenden, ohne dabei die tragische Situation zu verleugnen.Im Prinzip ist es ein klassischer deutscher Entwicklungsroman. Es passiert nicht viel - Isabella ist zu Besuch bei ihrer alten Freundin. Das Buch besticht, wie schon der Vorgänger, durch den besonderen Blick Isabellas auf die Welt und auf sich selber. Auf ihre Beschreibung von Dingen, Personen, Situationen. Wie sie sich wieder zurechtfindet in einer Welt ohne ihren Michael.
Die Sprache ist genau, poetisch, von einer ausgesprochen sprachlichen Erhabenheit, ohne dabei schwerverständlich zu sein. Das ist ein Buch von der Sorte, dass man es erneut lesen will.
Isabella erzählt in Ich-Form und ist als Charakter sehr sympathisch. Sie beschreibt das Älterwerden und ihre Eigenheiten. Das macht sie menschlich und man kann sich gut mit ihr identifzieren. Ihr Wohnort Seeham erweckt auch Sympathien beim Leser, gerne möchte man auch in diesem kleinen Sommerhaus wohnen.
Zur Autorin an sich: Isabella Nadolny war verheiratet mit Burkhard Nadolny, auch er Schriftsteller, wenngleich Isabella den größeren Publikumserfolg hatte. In ihren Romanen beschreibt sie ihr Leben (sie sind zumindest semi-biografisch). Ihr einziger Sohn, Sten Nadolny, ist bekannt als Autor des Romans "Die Entdeckung der Langsamkeit". Im Wohnort Chieming (Seeham) werden heute noch Führungen zu den Nadolnys veranstaltet, zudem gibt es einen Isabella-Nadolny-Weg. Ich war als Kind jedes Jahr in Chieming oder Umgebung in Urlaub, dennoch hatte ich dort diese Schriftstellerin nie kennengelernt; das möchte ich unbedingt einmal nachholen.
Lesen oder nicht?
Dieses Buch ist ein echter Geheimtipp. Ich kann es in höchstem Maße empfehlen. Das Lesen macht Freude, trotz des traurigen Sujets. Man fühlt sich ermuntert, das Leben unaufgeregt anzunehmen. Die Sprache dringt ins Herz.
Davor oder danach auch unbedingt Ein Baum wächst übers Dach lesen!
3 Zitate
Die wohlerzogene Gefaßtheit am Anfang war trügerisch. Bald stellte ich fest, daß ich das Wort "Schmerz" bisher leichtfertig und nach Belieben für Kleinigkeiten eingesetzt hatte. [S. 7]Man sagt nicht zu einem erwachsenen Sohn: "Es ist mir bitter notwendig, etwas über deinen Alltag zu wissen. Du bist alles, was mir geblieben ist. Ich liebe dich."
Man sagt statt dessen: "Wo ist der zweite Socken zu dem blaugrauen Paar?" und "Ich fürchte, du mußt dich noch mal rasieren." [Zufallszitat, S. 24]
"Interessiert es dich, die Wohnung meines Sohnes zu sehen?" hatte Candy gefragt und ich hatte erwidert: "Ja, sehr."
Zu den Konventionen, die auch durch die härteste Trauerarbeit nicht verdrängt werden, gehört der Wunsch, ein dankbarer, ein angenehmer Gast sein. Ein angenehmer Gast interessiert sich für das, was sein Gastgeber ihm zeigen will.
[...]
Auch New York "kenne" ich. Max Frisch sagt, daß man in diesem Zeitalter der Reproduktion vieles mit eigenen Augen gesehen hat, ohne je dort gewesen zu sein. Auch ich bin Fernhörer, Fernseher, Fernwisser. [S. 44]
Weitere Rezensionen
Buch- und Autorenvorstellung in der ZeitEs muß zwei Isabella Nadolnys geben. Die eine lebt; für Außenstehende absolut unspektakulär. Die andere erzählt davon, und sie tut es mit einem scharfen Auge für die Widerborstigkeit der Original-Figur und ihre hoffnungslose Bereitschaft, sich Hindernissen in den Arm zu werfen. Souverän, unsentimental, ohne die insgeheime Hoffnung, sich doch ganz besonders begabt/mutig/originell präsentiert zu haben.
Ich freue mich über eure Kommentare! Habt ihr das Buch auch gelesen? Ich suche noch nach Rezensionen auf anderen Blogs.
Hey Daniela,
AntwortenLöschenbeide Bücher sind mir nicht bekannt, aber mit Blick auf das Ersterscheinungsdatum ist das wohl auch kein Wunder. Da war ich gerade erst ein paar Jahre alt. ;-)
Oh du bist auch auf Instagram, werde ich dich gleich mal suchen gehen :-)
Liebe Grüße
Sandra
Hallo Sandra,
Löschenmir waren bis dato die Bücher auch nicht bekannt, obwohl ich 1991 schon lesen konnte :D (da war ich so 7. Klasse; "Die Säulen der Erde" und ähnliche Bücher hab ich da schon gelesen; aber ich vermute mal, dass zumindest "Providence und zurück" für mich damals noch zu weit weggewesen wäre).
Ja, ich instagramme auch, da ich ja nicht nur ein Buch-, sondern auch ein Wandervogel bin :D
Grüße
Daniela