Bienen auf dem Balkon |
btb, März 2017
Genre: Historischer Roman - Gegenwartsroman - Dystopie
ISBN: 978-3442756841
Norwegischer Originaltitel: Bienes historie
hier das Buch bei Amazon
Woher: Gelesen im Rahmen der Insekten-Rezensionsanthologie
Erster Satz
Wie verwachsene Vögel balancierten wir auf unseren Ästen, das Plastikgefäß in der einen Hand, den Federpinsel in der anderen.Zusammenfassung
Das Buch erzählt die Geschichte dreier Familien in drei
Zeitaltern und drei Ländern, und wie ihre Leben miteinander verknüpft sind und
von den Bienen beeinflußt werden:
William ist 1852 Wissenschaftler in England. Sein neuestes Forschungsgebiet sind die Bienen und die Frage einer bienengerechten Unterkunft zur Observation und zur Honigernte.
Im Jahr 2007 ist George Imker in Ohio, USA, und hat einen mittelgroßen Betrieb. Als auch er von der CCD, dem Verschwinden ganzer Bienenvölker betroffen ist, trifft es ihn hart.
2098 gibt es keine Bienen mehr. Die Menschen müssen von Hand die Blüten bestäuben. Die Bestäuberin Tao in China wünscht sich für ihren Sohn ein besseres Leben.
Persönlicher Eindruck
Die drei Handlungen sind jeweils aus der Ich-Perspektive
erzählt und werden abwechselnd in verschiedenen Kapiteln behandelt.
1852 hat den ehemals leidenschaftlichen Forscher William die
Melancholie fest im Griff, er liegt nur noch im Bett und kümmert sich weder um
seine 8 Töchter, seine Frau Thilda noch das Saatgutgeschäft. Allein sein
Erstgeborener, sein einziger Sohn Edmund, kann ihn dazu bewegen, wieder seine
Arbeit aufzunehmen und sich ein neues Forschungsobjekt zu suchen.
William überlegt sich, wie er die damals üblichen
Bienenkörbe verbessern kann. Sein Ziel: Honig zu ernten ohne die Larven zu
zerstören und eine Möglichkeit, die Bienen besser beobachten zu können. Seine
älteste Tochter Charlotte geht ihm nicht nur helfend zur Hand, sondern sorgt
auch für neue Impulse in ihrer gemeinsamen Arbeit.
William als Charakter kommt eher unsympathisch rüber. Immer
wieder zwingt ihn die Melancholie ins Bett und er sorgt nicht für seine
Familie. Seine vielen Töchter sind für ihn kaum Individuen, nur Edmund ist
etwas Besonderes, für ihn möchte er etwas schaffen. Und dennoch scheint Edmund
sich weder groß für seinen Vater zu interessieren, noch etwas zu taugen. Allein
Charlotte ist an seiner Seite und erforscht mit ihm zusammen leidenschaftlich die
Bienen; doch er nimmt sie wie selbstverständlich und denkt lange Zeit kaum an
sie.
Da die Geschichte aus der Ich-Perspektive von William
erzählt wird, lernen wir Charlotte nur durch ihn kennen, dennoch fällt ihre
Wißbegierde und ihr positives Wesen auf. Damals war es für eine Frau schwerer,
etwas zu lernen und ihren eigenen Interessen nachzugehen; deshalb ist ihr Vater
dank seines relativen Uninteresses eigentlich ideal für sie.
Als Charlotte und William ihr Projekt vollenden und die
„Savage Standardbeute“ zum Patent anmelden, scheint eine rosige Zukunft
gesichert.
2007 hat auch der Imker George ein eher schwieriges Verhältnis zu
seinem Sohn Tom. Er soll mal den Betrieb übernehmen, aber Tom möchte lieber
Journalist werden. Zudem können die beiden kaum miteinander reden, die Distanz
scheint groß.
George hat einen eher mittelgroßen Betrieb und lebt vor
allem vom Honig. Da dieser aber auf dem Weltmarkt recht günstig ist, ist auch
er gezwungen, in den Bestäubungsmarkt einzusteigen – die Bienen werden als
Befruchter quer durch die USA gekarrt und sind fast das ganze Jahr über
beschäftigt.
Stolz ist George darauf, dass er die Beuten für die Bienen nach
alter Familientradition selbst zusammenbaut. Er kümmert sich gut um die Bienen,
es mangelt ihnen an nichts. Und doch trifft auch ihn das große Problem: CCD.
Die Bienen verschwinden.
2098 müht sich die Arbeiterin Tao durch die Tage. Sie und ihr
Mann Kuan müssen wie alle im Dorf, auch die Kinder, den ganzen Tag lang von
Hand Obstbäume bestäuben. Denn es gibt keine Bienen mehr, seit dem großen
Kollaps. Nur China hat diese Katastrophe dank diktatorischer, unbequemer
Maßnahmen einigermaßen überstanden, dennoch herrschen auch hier
Nahrungsmittelknappheit und es gibt keinen technologischen oder sonstigen
Fortschritt mehr. Die wenigen Menschen sind damit beschäftigt, selber Pflanzen
zu bestäuben, um etwas zu essen zu haben.
Für ihren 3-jährigen Sohn Wei-Wen wünscht sie sich ein
besseres Leben. Er soll durch großes schulisches Talent auffallen und einmal
Aufseher werden, nicht schon mit 8 Jahren Bestäuber werden müssen. Leider ist
Wei-Wen nicht so sehr an ihrem Unterricht interessiert.
Und dann hat er einen Unfall und die Obrigkeit verlegt ihn
nach Peking, ohne die Eltern zu fragen. Tao nimmt ihr letztes Geld und reist
hinterher. Was Wei-Wen geschehen ist, das ahnt sie, hat eine größere Dimension.
Handlung
Die Autorin zeigt das Menschliche, die Antriebe hinter den
Entscheidungen und zieht einen so in die Geschichte rein. Das Besondere ist,
dass sie Bienen in Beziehung zu dem Leben der Menschen setzt.
Zuerst geht es um das Beobachten, dann das Nutzen,
schließlich um die Abwesenheit der Bienen.
Alle drei Geschichten und Familien sind miteinander
verbunden, die Beziehung zwischen ihnen wird im Lauf des Buches offengelegt.
Insekten
In diesem Buch lernt man neben fachspezifischen Vokabeln wie
Beuten viel über das Bienenvolk. Wir erfahren, wie und warum der heute
gebräuchliche Bienenstock entwickelt wurde und lernen einiges über das Handwerk der Imkerei. Die Autorin hat außerdem die große
Bedeutung der Bienen für die Welt rübergebracht. Die Dystophie, wie die Welt
ohne die Bienen aussähe, ist erschreckend, gerade weil sie so logisch
vorgebracht wird, wie unsere komplette Zivilisation von diesen kleinen Wesen
abhängt. Und das bringt uns zur Dystopie:
Dystopie
Nach dem großen Kollaps, dem Verschwinden der Bienen und sonstigen Bestäuber, kam es zu tiefgreifenden Veränderungen. Meeressspiegelanstieg, beschleunigter Klimawandel und Atomunfälle kommen hinzu. Im Jahr 2098 leben Amerika und Europa in tiefer Armut mit einem Bruchteil der
Bevölkerung. China produziert noch, aber es gibt fast keine Arbeit außerhalb der
Bestäubung. Die Welt ist geprägt von Hunger, Massenverelendung, Kinderarbeit und zerfallenden Städten. Es gibt keine Weiterentwicklung, es herrscht technologischer Stillstand, da die geschrumpfte Bevölkerung nur noch mit dem Überleben beschäftigt ist. Obst oder Baumwollkleidung ist der absolute Luxus.
Lesen oder nicht?
Empfehlenswert. Die Mischung aus dystopischer Zukunft, Gegenwartsbericht und historischem Roman und wie Maja Lunde all das miteinander verbindet, ist lesenswert. Als Leser bekommen wir eine Ahnung, wie sehr unsere Zivilisation mit den Bienen und anderer Bestäuber verknüpft ist.
3 Zitate
Ich sah weg, hatte keine Lust, es ihm zu erzählen, ihm von
den Kindern zu erzählen. Ich wusste sowieso, was er sagen würde. Sie seien
nicht jünger geworden, sondern so alt wie immer, acht Jahre, wie schon im
letzten Jahr. … Wir müssten froh sein, hier leben zu dürfen. Es hätte schlimmer
kommen können. Wir hätten in Peking landen können. Oder Europa. Wir müssen das
Beste aus unserer Situation machen. [S. 39]
Ich las wieder Swammerdam, seine Forschung war noch immer
unangefochten. Ich studierte Hubers Bienenstock, dessen praktischen Aufbau, und
bestellte zusätzlich alles, was ich an Broschüren und Zeitschriften zum Thema
Imkerei finden konnte. [Zufallszitat, S. 173]
Ich redete immer schneller, und der Eifer packte mich, denn
nun stellte ich etwas vollkommen Eigenes vor, zum ersten Mal. Und es gab soviel
zu sagen, so viel zu erklären. Ich zeigte ihm, wie mühelos man die Rahmen
herausnehmen konnte, und wie leicht man den Bienenstock reinhalten konnte. Ich
erläuterte meine Veranlassung; dass mein Stock von Hubers Blätterbeute
inspiriert sei, mein eigenes Modell jedoch viel einfacher zu handhaben sei und
für eine den Bienen angenehmere Temperatur sorge. [S. 323]
Weitere Meinungen
Querverweise
Das hier vorgestellte CCD, das Indiz für das Massensterben der Bienen, greift auch Dave Goulson Buch "Und sie fliegt doch" auf. Allerdings meint Goulson zu erkennen, dass das Sterben langsam zu einem Ende kommt bzw. sich abschwächt. Dennoch sieht auch er große Gefahren für einen Rückgang der Bestäuber, neben den Honigbienen sind das auch noch die Wildbienen, die Hummeln und andere Insekten. Er schlägt geeignete Maßnahmen vor, wie z.B. Wildblumenwiesen. Auch in diesem Buch wird als Maßnahme gegen das Bienensterben die Abkehr der Monokulturen vorgestellt.
Fußnote: Marc von BieVital über Imkerei
Marc La Fontaine ist seit seinem neunten Lebensjahr von Bienen fasziniert. Seit 2010 betreibt er eine Berufsimkerei namens BieVital in Karlsruhe-Durlach und bietet imkertechnische Dienstleistungen an. Ich traf Marc Anfang August in seinem Bienengarten, wo er mir einige Völker zeigte und Fragen zu den Bienen und ihrer Haltung beantwortete. Ihr findet den Bericht über den Besuch bei Marc dreigeteilt als Fußnote zu den Romanen Geschichte der Bienen, Die Bienenhüterin und Der Bienenroman.
Marc la Fontaine ist, wie George im Roman „Geschichte der Bienen“, Berufsimker. Er wurde am Bieneninstitut Celle zum Tierwirt im
Fachbereich Bienenhaltung ausgebildet. Marcs Lehr- und Wanderjahre führten ihn
in die USA und nach Thailand. Ausgestattet mit viel praktischer Erfahrung und
Wissen und getrieben von dem Wunsch nach einer eigenen Imkerei, meditierte er
im asiatischen Dschungel über sein weiteres Leben als Imker. Er kam zu dem
Schluss, seine eigene Imkerei nicht in konventioneller Bienenhaltung betreiben
zu wollen. Statt der Gewinnmaximierung sollten die Bienen und ihre Bedürfnisse
im Vordergrund stehen.
Als Berufsimker in Deutschland alleine vom Honigverkauf zu
leben, ist machbar, bedeutet allerdings einen großen Aufwand an Zeit und Geld. Demgegenüber muss man den Honigpreis stellen. 90% aller Imker in Deutschland sind deshalb Hobbyimker. Viele
Berufsimker in Deutschland wandern und ziehen mit ihren Bienenvölkern der
Tracht hinterher. Tracht bezeichnet die honigproduzierenden Blüten. So sind Bienenvölker
von Wanderimkern vielleicht heute bei den Apfelbäumen im Strohgäu und morgen
bei den Lavendelfeldern in Frankreich. Durch diese Wanderung produzieren die
Bienen viel Überschuss, der Imker erhält mehr Honig als bei einer stationären
Haltung der Biene.
Die Nachteile der Wanderung erklärt Marc so: Für die Bienen
bedeutet es Stress und für den Imker erhöhten Fahraufwand. Parasiten können
leicht zwischen den örtlichen Bienenvölkern ausgetauscht werden und so schnell geographische
Grenzen überwinden. Räuberei unter Bienenvölkern kann einem Großteil des Volkes
zum Verhängnis werden. Schließlich kann auch im Wandergebiet die Nahrung durch die eingewanderten Bienenvölker knapp werden und zu Konflikten führen
George im Roman vermietet seine Bienen landesweit. Auch in Deutschland können Landwirte Bestäuber (Bienen und Hummeln) mieten, doch ist das für Imker als Wirtschaftszweig nicht so üblich und verbreitet wie in den USA.
Marc hält seine Bienenvölker in stationärer Haltung und
vermarktet die Bienenprodukte in Eigenregie. Neben den Wirtschaftsvölkern vermehrt er auch Völker zum Verkauf und betreut Bienenvölker anderer Imker. Er gibt
Imkerkurse, berät Hobbyimker, macht Bienenshows und siedelt wilde
Bienenschwärme oder Wespennester um. Mit diesem Mix ist Marc in der Saison
beinah rund um die Uhr beschäftigt, aber kann auf diese Weise seinen Traum
einer bienengerechten Imkerei leben.
Einige von Marcs glücklichen und sanftmütigen Bienen |
Ich freue mich über eure Kommentare. Wolltet ihr schon immer mal imkern?
Liebe Daniela, das hört sich spannend an und kommt auf meine Bücherwunschliste ! Schön finde ich auch, daß die Autorin auf diese Weise auf die Situation von Bienen und Co. aufmerksam macht und was uns droht, wenn wir weiter so rücksichtslos mit der Natur und unserer Umwelt umgehen. Hut ab vor all den Imkern, die mit ihrer Arbeit für das Fortbestehen der Bienen sorgen :-)
AntwortenLöschenHallo Almuth,
Löschendie Geschichte ist auch richtig gut aufgebaut, das hat mich auch begeistert. Das Buch war glaub ich sogar auf der Top-10-Liste Deutschland (ich krieg das nie so richtig mit).
Viel Freude damit!
Daniela
Danke :-)
AntwortenLöschenHallo liebe Daniela,
AntwortenLöschenein tolle und ausführliche Rezension, vielen Dank dafür.
Kann sie so nur unterschreiben ;)
Vielen Dank auch fürs verlinken.
Bin gespannt auf unser neues Projekt. Ende März geht es los.
Liebe Grüße, Tanja