Dienstag, 5. Februar 2019

[Rezension] Den tyska flickan / Das Erbe der Rosenthals von Armando Lucas Correa

den tyska flickan

Die elfjährige Hannah muss 1939 vor den Nazis zusammen mit ihrer Familie aus Berlin flüchten. Auf dem Kreuzer St. Louis wollen sie und andere nach Kuba fahren, für das sie Visa bekommen haben. Doch dann ändert sich die Stimmung in Kuba und die Regierung verweigert die Aufnahme der Flüchtenden auf dem Kreuzfahrtschiff.

2014 lebt die Großnichte von Hannah in New York. Anna hat ihren Vater bereits vor ihrer Geburt verloren. Sie vermißt ihn, und kennt doch so wenig von ihm und seiner Familie. Da bekommt Anna einen Brief von Hannah...

Persönlicher Eindruck


Leben im Exil, Flucht und Vertreibung, verlorene Generationen, geplatze Träume und die Überwindung eines familiären Traumas - das sind die Themen dieses leisen Romans, der eine große Wirkung entfaltet.

Historischer Hintergrund


Die Geschichte ist zwar fiktional, basiert aber auf einer wahren historischen Begebenheit. Die Geschichte des Kreuzers St. Louis wird im Nachwort des Autors erläutert. Im zweiten Weltkrieg hatten 937 jüdische Flüchtlinge die Erlaubnis, nach Kuba einzureisen, also dorthin zu flüchten, und sie fuhren mit der St. Louis dorthin. Vorhin hatten die deutschen Behörden natürlich ihre Besitztümer konfisziert und für die Überfahrt jedem 10 Reichsmark gelasen. Während der zweiwöchigen Überfahrt änderte sich das Klima in Kuba und als die Flüchtlinge endlich in Havanna ankamen, durften sie nicht einreisen. Nach einigem Hin und Her durften rund 30 Flüchtlinge einreisen. Für den Rest suchte der Kapitän händeringend Länder, die sie aufnahmen. Doch auch die USA und Kanada weigerten sich, die Flüchtlinge aufzunehmen. Schließlich musste die St. Louis wieder umdrehen. In Europa wurden die Menschen dann doch noch von einigen Ländern aufgenommen, England, Frankreich, etc, doch die meisten starben in den Kriegswirren oder wurden dann doch noch von den Nazis aufgegriffen.

Im Anhang hat es Fotos der originalen Unterschriftslisten der Passagiere sowie einige Fotos. Das ging mir ganz schön nahe, hier die Spuren der Menschen zu sehen.

Inhalt


1939 ist Hannah 11 Jahre alt und lebt in Berlin. Zusammen mit ihrem besten Freund Leo stromert sie durch die Stadt. Doch die Idylle ist gestört, die Nazis sind an der Macht und Hannah, Leo und ihre Familien gelten ihnen als unrein. Das Vermögen von Hannahs Familie ist schon teilweise konfisziert, vor allem das Hotel, und sie leben in ständiger Angst vor Verhaftung und  Willkür. Das geht so weit, dass Leos Vater für die Familie von Hannah drei Zyanidkapseln besorgt, als letzten Ausweg.

Doch dann bekommen die Familien Plätze auf dem Kreuzfahrtschiff St. Louis, mit Ziel Kuba. Doch das soll für Hannah und ihre Eltern nur eine Zwischenstation sein auf dem Weg nach New York. Doch während das Schiff unterwegs ist, ändert Kuba seine Meinung und die Flüchtlinge auf dem Schiff, obwohl sie Visa haben, ist nicht länger willkommen. Auch andere Länder weigern sich, die Flüchtenden aufzunehmen.

2014 ist Anna 11 Jahre alt und lebt in New York allein mit ihrer Mutter. Ihr Vater ist vor ihrer Geburt gestorben. Da bekommt Anna einen Brief von ihrer Großtante Hannah, die ihren Vater aufgezogen hat.


Wirkung


Der Roman wechselt zwischen Anna und Hannah hin und her. Beide sind sehr ähnlich; in meinem inneren Kopfkino haben sie die gleiche Stimme. Das ist von dem Autor auch so gewollt. Die Geschichte ist bedrückend und handelt von Schicksalen, der Tragik eines Lebens, Schuld und Versprechen, ungelebten Leben und wie unsere Vergangenheit Familienschicksale lenkt. Erst Anna hat die Chance, das Schicksal ihrer Familie zu überwinden, obwohl sie es erstmal kennen lernen muss.

Die Überfahrt auf der St. Louis nahm einen großen Platz ein und ist auch der Dreh- und Angelpunkt von Hannahs Leben und dem Schicksal der Familie. Dieses Begegebenheit ist tatsächlich so passiert und erinnerte mich natürlich an das Hin und Her mit den Rettungsbooten im Mittelmeer, die auch keiner haben wollte. Natürlich gibt es Unterschiede, die Passagiere auf der St. Louis hatten zuvor für ihre Visa bezahlt und die Erlaubnis des Staates Kuba bekommen für einen Aufenthalt. Dann entschied sich Kuba dagegen und schickte die Flüchtlinge aus Deutschland wieder ins Ungewisse. Dieser Verrat Kubas an den Juden ist ein zentrales Thema im Buch.

unterschriften im Buch
Im Anhang: Die Unterschriften der Passagiere der St. Louis


Hannah ist gestrandet in einem Land, in dem sie und ihre Eltern gar nicht permanent leben wollten. Sie richten sich nur provisorisch ein. Vor allem die Mutter, die sich teilweise im Haus verschanzt und mit Gardinen die Außenwelt aussperrt. Aber auch von Deutschland wurden sie verraten - sie hören auf, Deutsch zu reden und sprechen Englisch oder Spanisch miteinander.

Die Verbindung zwischen Hannah und Anna ist von Anfang an bekannt. Spannung wird aus der Frage erzeugt, wie die Verbindung genau vonstatten ging. Welche Entscheidungen führten dazu, dass Anna in New York aufwachsen konnte?

Sowohl Hannah als auch Anna sind starke Frauen. In Hannahs Leben gab es wenig Schönes, und man hofft, dass Anna es gelingt, das Familientrauma zu überwinden. Zu den großen Momenten des Buches gehört für mich der Besuch am Familienmausoleum, wo die Geister der Toten an den Lebenden zerren, sinnbildlich gesprochen.


Stil und Schwedisch


Es war teilweise verwirrend, ein Buch über eine deutsche Familie von einem spanischsprachigen Autor, der wohl auf englisch geschrieben hat, auf schwedisch zu lesen. Andererseits schaffte das auch eine gewisse Distanz zur deutschen Schuld, die einen sonst fast reflexartig befällt. Im Original und auch im Schwedischen heißt der Titel übersetzt: "das deutsche Mädchen". Man kann verstehen, dass die deutsche Übersetzung hier einen abweichenden Titel gewählt hat.

Der Schreibstil ist sehr klar und prägnant; so ließ sich auch das Schwedische gut lesen und verstehen. Empfehlung: ab unterem B-Niveau.

Die Geschichte wird immer aus Kindersicht erzählt und das schafft eine ganz eigene Sicht auf die Dinge. Leider konnte mich das nicht immer fesseln. Gerade die lange Passage mit der Überfahrt fand ich die meiste Zeit doch etwas langweilig. Auch, weil eigentlich nicht sonderlich viel passiert, außer, dass Hannah und Leo das Schiff erkunden. Die Dramen und politischen Geschehnisse in Kuba und Berlin bekommen sie nur am Rande mit. Wobei für sie die Zyanidkapseln als letztem Ausweg dann doch eine gewisse Bewandtnis haben.

Das Leben im Exil in Kuba fand ich dann wiederum sehr spannend. Ich wusste vorher von den Umstürzen in Kuba genausowenig wie vom dem Schicksal der St. Louis, und so war das durchaus spannend zu lesen. Seltsamerweise ist für mich Hannah nur äußerlich erwachsen geworden, in ihrer Seele aber das kleine Mädchen geblieben. (Geht uns das nicht allen so?)




Lesen oder nicht?


Ein leises, melancholisches Buch über Flucht und Vertreibung und uneingelöste Lebensentwürfe, dass mich betroffen und traurig zurückließ. Ein Buch wie ein Pickel, den man immer wieder aufkratzt...  Dennoch eine Geschichte, die erzählt und gelesen werden sollte; sofern man sich auf die leisen Töne einlassen kann.  

⭐⭐⭐⭐


Andere Meinungen




Bibliographische Daten


Titel: Das Erbe der Rosenthals
Autor: Armando Lucas Correa
Genre: historischer Roman; Karibische Literatur

Gebundene Ausgabe, 432 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe
Erscheinungsjahr/Ausgabe: Dezember 2017


ISBN-13: 978-3785726020

Original: The German Girl
Originalsprache: Englisch
Übersetzerin: Ute Leibmann

Schwedische Ausgabe
Titel: Den tyska flickan
Seiten: 368
Verlag: Louise Bäckelin Förlag
Ausgabe: Dezember 2017
Übersetzerin: Jessica Hallén


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