Sonntag, 11. November 2018

[Blogtour Syrien] / [Gewinnspiel] Interview mit Seif Arsalan

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Seif ist als Junge aus Syrien geflohen, zusammen mit seiner Mutter. Hier in Deutschland geht er zur Schule, hat Deutsch gelernt - und über seine Erlebnisse ein Jugendbuch geschrieben, in Zusammenarbeit mit Annette. Wir haben Seif einige Fragen zu seiner Flucht und zu seinem Ankommen hier in Deutschland gestellt. Vielen Dank, Seif, dass du dich bereiterklärt hast, zu antworten.

Unter allen Kommentatoren verlosen wir am 25. November 2018 ein Exemplar von Seifs Buch "Flucht aus Syrien". Dazu möchte ich gerne von euch wissen, was ihr Seif wünscht oder was euch an ihm besonders beeindruckt hat! (Die Moderationsfunktion ist aktiviert.)
*Update* - Gewonnen hat Julia95. Herzlichen Glückwunsch. Bitte sende mir deine Adresse innerhalb der nächsten fünf Tage.

Besucht auch die Beiträge meiner Mitstreiter, auch hier könnt ihr Bücher gewinnen und zwar:
 Ich bin das Mädchen aus Aleppo und Geflüchtet

Fragen an Seif


Hallo Seif.

01. Wie war das Verhältnis unter den Flüchtenden auf der Reise? Eher distanziert oder hilfsbereit?

Das Verhältnis war ein bisschen distanziert, da meiner Meinung nach viele das Vertrauen in ihre Mitmenschen verloren haben. Und Aus Sicherheitsgründen auch.

02. Beim Aufbruch in Syrien: War da mehr Trauer, die Heimat verlassen zu müssen, Angst vor der Reise oder Hoffnung?
Als ich Syrien verlassen musste, war ich gerade 16 Jahre alt. Damals war ich froh, dass ich Syrien verlassen konnte um, endlich in Frieden leben zu können. Meine Mutter war hingegen sehr unglücklich. Aber jetzt als Erwachsener traure ich das ein bisschen um die verlorene heimat. Andererseits bin ich froh, dass ich jetzt in Deutschland bin und mich weiterbilden kann, denn Syrien braucht nach dem Krieg seine Männer wieder. Und da ist es von Vorteil, wenn sie gebildet zurückkehren. Das heißt aber nicht, dass ich direkt nach dem Krieg nach Syrien zurück möchte. Es kann sein, dass ich von Deutschland aus dabei helfe, Syrien wieder aufzubauen.



03. Das Leben unter einem Diktator: Wie bewahrt man sich ein Stück Freiheit und wird nicht vor Angst verrückt?
In der Gemeinschaft haben wir es geschafft, das Leben unter Assad auszuhalten. Ich glaube, man wird erst verrückt, wenn man jemand aus seiner Familie verloren hat. Das ist bei mir in meiner engeren Familie zum Glück nicht der Fall. Meine Mutter war kurz vor dem Wahnsinn, als ich, wie in meinem Buch beschrieben, in unsere Wohnung nicht rein konnte und die Armee auf der Straße war und in die Luft geschossen hat.

04. Auf der Flucht: Konnte man mit den anderen Flüchtlingen über das Erlebte reden oder hat jeder alles mit sich selbst ausgemacht?
Ich sage immer, dass die Flucht von der Türkei nach Syrien FÜR MICH schön war. Ich weiß, es klingt verrückt. Aber das hat etwas mit meiner Kindheit zu tun. Auf der Flucht waren wir in einer Gruppe, wo wir alle uns kannten. So konnten wir über die schöne Zeit in Syrien reden. Jeder hat das was er innig in seinem Herz trägt, erzählt.

05. Hattest Du als Frau, bzw. hatten die Frauen Angst vor der Gewalt anderer Männer?
Ich bin keine Frau. Grundsätzlich hatte meine Mutter und die anderen drei Frauen in unserer Gruppe keine Angst vor Männern, da wir Männer immer für ihre Sicherheit gesorgt haben.

06. Was war für Dich das Schlimmste, was Du auf der Flucht erlebt hast?
Das Schlimmste war die Trennung von meinem Freund Hischam in Heidelberg und der drei tägige Aufenthalt im Village Heidelberg.

07. Wie haben Euch die Schlepper behandelt? Wie die Beamten in den Ländern?
Nicht alle Schlepper behandelten uns schlecht. Ich habe im Buch erwähnt, dass wir in der Wohnung eines Schleppers in der Türkei umsonst übernachten konnten, als die Überfahrt nicht geklappt hat. Der Rest hat uns wie Ware behandelt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob uns die Beamten in den anderen Ländern auf der Flucht gut behandelt haben. Aber wahrscheinlich war es ok.

08. Habt Ihr Gewalt von Polizisten oder Beamten in Europa erlebt?
Nein. Überhaupt nicht. Die Polizei in Griechenland und in Deutschland war sehr freundlich zu uns und hat uns Hilfe angeboten.

09. Gibt es in all dem Schrecklichen auch was Schönes, an das Du gerne zurück denkst?
Ja, an meine Geschwister und an die Zeit mit Hischam.

10. Hattest du dich schon lange mit dem Gedanken beschäftigt zu flüchten oder war es eine spontane, aus der Not geborene, Entscheidung?
Die Entscheidung zur Flucht lag nicht in meiner Hand, sondern in der meiner Familie. Ich war ja 16 damals.

11. Was war der letztendliche Auslöser, gab es ein besonderes Ereignis, bei dem klar war, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, sich auf die gefährliche Reise der Flucht zu begeben?
Zwei mal. Einmal in Syrien, als die Regierung zu Kontaktdaten meines Bruders kommen konnte und die Familie seines Kollegen verhaftet wurde, war es klar, dass wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verhaftet werden könnten, wenn wir jetzt nicht fliehen.
Das zweite Mal war es in der Türkei, als wir von einer terroristischen Gruppe bedroht worden sind aufgrund der Tätigkeit meines Bruders in einer Hilfsorganisation.

12. Hattest du eine bestimmte Vorstellung, wohin du flüchtest?
Da mein Bruder schon in Deutschland war, als wir flüchten mussten, war das Ziel meiner Mutter Deutschland. Meins war England. Ich wollte keine neue Sprache lernen. Auf der Flucht habe ich mein Ziel auf Schweden geändert. Aber zum Glück bin ich doch in der Nähe meiner Familie geblieben. Die deutsche Sprache habe ich GELIEBT und liebe sie immer noch!

13. Wie habt ihr euch mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgt auf der Flucht?
Auf unserer Flucht gab es viele Organisationen, die uns immer mit Essen und Wasser versorgt haben.

14. Wie haben die jeweiligen Einheimischen auf der Flucht um dich herum auf dich/euch reagiert?
Während der ganzen Flucht hatten wir keinen Kontakt zu den Einheimischen, da wir die ganze Zeit in Orten waren, wo es kein Einheimischer aufhielt.

15. Kannst du das negative Verhalten einiger Menschen in Deutschland Flüchtlingen gegenüber nachempfinden?
Vielleicht ein bisschen. Ich kann verstehen, dass man Angst bekommt, wenn man plötzlich Menschen mit anderer Kultur und fremdländischen Aussehen sieht. Aber ich kann nicht verstehen, dass man unfreundlich zu den neuen Mitmenschen ist, ohne sie zu kennen und sich auf Vorurteile einlässt.

16. Was hat dich, nun rückwirkend auf die Zeit, die du hier in Deutschland bist, am meisten enttäuscht?
Ich wurde zwei mal enttäuscht. Einmal, als wir zur Anhörung fuhren, die aber nicht stattfand, weil der Mitarbeiter erkrankt war. Sie können mich vielleicht besser verstehen, wenn Sie die Stelle im Buch dazu lesen würden. Das zweite Mal, als wir nach 19 Monaten Warten nur den subsidiären Schutz bekommen haben.

17. Was hat dich am meisten positiv überrascht in Deutschland, mit dem du nicht gerechnet hast?
Dass ich ein Buch schreiben und so viele Hilfe bekommen konnte. Meine Freunde sagen zu mir immer, dass ich in einer Blase lebe, wo alles gut ist.

18. Gibt es etwas, dass du den Menschen in Deutschland oder auch insgesamt den Europäern sagen möchtest?
Ja! Ich bin Deutschland sehr dankbar, dass es uns so freundlich aufgenommen und uns vieles ermöglicht hat, damit wir uns schnell in diese wunderbare Gesellschaft integrieren können. Sobald wir integriert sind, möchten wir Deutschland etwas zurückgeben, was es uns gab, als wir in Not waren. Zu allen AFD-Anhänger und rechtsradikalen Menschen möchte ich sagen: Vergesst nicht, was eure Vorfahren Afrika und dem Nahen Osten angetan haben. Die Ausbeutung der Kolonien und auch die Massaker haben dazu geführt, dass in diesen Ländern bis heute Armut und Ungerechtigkeit herrscht. Außerdem und trotz allem sind wir hier nicht freiwillig. Niemand verlässt gerne sein Land, seine Familie und sein Haus. Wir wollen euch nicht auf der Tasche liegen. Bitte versetzt euch in unsere Situation. Stellt euch vor, dass ihr flüchten müsst und dass niemand euch in seine Obhut nehmen möchte!!!!!

Viele Grüße, Seif Arsalan




5 Kommentare:

  1. Liebe Daniela, lieber Seif,

    was für ein tolles Interview!!!
    Sehr schade, dass es mit den anderen Autor*innen nicht geklappt hat, deren Bücher wir vorgestellt haben. Mich hätten die Antworten sehr interessiert.

    Sehr spannend finde ich, Seif, dass Du mir nochmal ein etwas anderes Bild von Flucht vermittelst, als ich es in den Medien erlebt habe. Ich war mir im Buch nicht sicher, ob Du grässliche Erlebnisse nicht weggelassen hast. Aber es scheint, dass Du keine schlimmen Erfahrungen im Sinne von Gewalt durch Polizei oder Mitflüchtenden machen musstest. Darüber bin ich sehr froh für Dich. Denn das ist etwas, was mir von den Bildern von 2015 im Kopf hängen geblieben ist. Gerade an der ungarischen Grenze. Gerade das Bild, wo die ungarische Journalistin, dem Vater mit dem kleinen Kind auf dem Arm, ein Bein stellte und als das nicht klappte, sie die kleine Tochter trat, die hinter dem Vater hergelaufen ist. (Die wurde übrigens gerade freigesprochen. 😡)

    Ich musste im Buch übrigens sehr weinen, als Du nicht mit Deinem Freund nach Schweden konntest. Und ich fand Dich da überhaupt nicht egoistisch oder so. Sondern völlig normal, dass jemand in Deinem Alter damals sich von daheim ablösen will. Eigene Erfahrungen machen möchte.
    Ich weiß natürlich, dass Euer Kulturkreis nochmal einen anderen Familienzusammenhalt hat.
    Um so mehr freue ich mich, dass Du es nicht bereust, in Deutschland geblieben zu sein.

    Ich wünsche Dir für Deine Zukunft nur das Allerbeste!

    Daniela: Psst, Du hast oben geschrieben: Kommentarfunktion statt Moderationsfunktion.

    Liebe Grüße
    Petrissa

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  2. huhu du liebe,
    auch bei dir mache ich sehr gerne mit....
    es ist traurig, was dem kleinen in seinem jungen leben schon passieren musste und ich kann mir denken, das die bilder dir immer im kopf bleiben werden.
    ich wünsche ihm einfach, das er stark bleibt.. das es mit der zeit besser wird und das er irgendwann *hier* ein zuhause findet ohne anfeindungen oder ähnliches.
    lg tpt1984@gmx.de

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  3. Hallo Daniela,
    hallo Seif,

    herzlichen Dank für das Interview.

    Ich wünsche Seif und seiner Familie, dass der subsidiäre Schutz bei der nächsten Überprüfung durch das BAmF mindestens in die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft umgewandelt wird!

    Für Eure weitere Zeit in Deutschland wünsche ich Euch alles Gute.

    Liebe Grüße
    Babsi
    https://buechersindfliegendeteppiche.wordpress.com

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  4. Ich wünsche Seif, dass viele Menschen diesen Beitrag lesen und dies zu einem Umdenken führt! Vielen sehen derzeit nur die negativen Seiten einer Zuwanderung, hetzen und versetzen Unschuldige in Angst. Ich hoffe, dass Ihnen die Augen geöffnet werden und künftig eine Willkommenskultur gelebt wird. Denn jeder könnte irgendwann unschuldig dazu gezwungen werden, sein Land zu verlassen.

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  5. Vielen Dank euch allen für eure Teilnahme!

    Soeben habe ich ausgelost und gewonnen hat: Julia95. Herzlichen Glückwunsch!

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