Donnerstag, 11. Juli 2019

[Lesegedanken] Was kann ein Buch leisten?



Inspiriert durch den Philosophie-Podcast "Sag niemals Nietzsche" von den klugen und sympathischen Frauen Christiane Stenger und Samira El Ouassil, konkret gesagt von der Folge "Ungerechtigkeit und Buch" hab ich mir weitere Gedanken gemacht, was ein Buch leisten soll oder kann.

Bücher bestehen aus Wörtern. Wörter ist sichtbar gemachte Sprache. Und unsere Sprache setzen wir ein, um unsere Erfahrungen und Gedanken zu vermitteln. Aus Hirnchemie wird so etwas, über das man sprechen kann. Worte konstruieren unsere Wirklichkeit. Sie beschreiben und verschlüsseln unsere Erfahrungen und führen unsere Gedanken.

Die geballte Kraft von Wörtern in einem Buch kann also Großes bewirken.


Durch ein gutes Buch nehmen wir einen anderen Blickwinkel ein. Wir schlüpfen in gewisser Weise in die Schuhe von anderen Existenzen. Wir wechseln unsere Perspektive. Beispielsweise zu einer Opferperspektive. Sämtliche Biographien und Erlebnisberichte gehören dazu, Gegenwartsromane - aber auch Science-Fiction. Denn es geht nicht nur darum zu erfahren, was ist, sondern auch, was sein könnte. Eine andere Wirklichkeit muss nicht real sein, aber denkbar.



Bücher zeigen uns Facetten der Welt. Sachbücher erklären uns, wie Bienen Blüten sehen oder wie der Kosmos expandierte.

Die Aufnahme neuer Blickwinkel und Facetten der Wirklichkeit - die, die ist und die, die sein könnte - führen dazu, dass unser Gehirn die neuen Inhalte bearbeitet und reflektiert. Die Reflexion ist ein innerer Prozeß und auch ein Austausch mit anderen im besten Fall.

Indem wir die einzelnen Facetten aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen, konstruieren wir die Spielregeln der Welt. Wie funktioniert die Welt - das ist eine der Fragen, die uns umtreibt. Und durch Bücher lernen wir, wie die Welt funktioniert oder funktionieren könnte.

ScieneFiction, Dystopien, Utopien und historische Romane haben dabei einen unterschiedlichen Wahrheitsgrad. Dieser Wahrheitsgrad ist für unser Gehirn und die Reflexion aber irrelevant.

Nochmal zusammengefasst: Die Aufnahme von Büchern führt zu einer Reflexion, d.h. zu einer Beschäftigung mit den Inhalten. Die Folgen sind eine Erweiterung unserer mentalen Fähigkeiten. Unse Empathie wächst, wir können uns in andere besser reinversetzen. Wir erkennen die Pluralität von Situationen, können diverse Szenarien im Kopf durchspielen.

Unser Gehirn ist hochflexibel, wir erlangen ein größeres Verständnis von unseren Möglichkeiten. Und nicht nur von unseren individuellen Möglichkeiten, sondern auch von unserem Sozialleben, der Gesellschaft, dem Universum, alternativen Welten und allen denkbaren Facetten, mit denen wir uns beschäftigen.

Natürlich tragen Bücher unterschiedlich zu diesem Prozeß bei. Unterhaltungsliteratur ohne Anspruch bringt nichts Neues, nichts, dass das Gehirn zur Reflexion zwingen würde. Das Gehirn verbreitert lediglich Bekanntes.

Deshalb ist es so wichtig als Leser im besten Sinne sich immer um neuen Input zu mühen. Die Reflexion braucht diesen Input, um ein kritisches Level zu erreichen. Bei der Literaturauswahl müssen wir uns immer bemühen, auch mal aus unserer Komfortzone zu kommen, z.B. ein anderes Genre zu lesen oder über Dinge, mit denen wir uns bisher nicht beschäftigt haben. Einerseits. Andererseits braucht unser Gehirn auch einen erhöhten Input von Dingen, mit denen wir uns schon beschäftigt haben. Es gibt ein kritisches Level, aus der aus der reinen Reflexion, der Gedankenmühle, auch etwas entsteht. Hilfreich ist dabei auch der Austausch mit anderen Buchbloggern, deshalb vernetzen wir uns auch so gerne und schreiben Rezensionen!


Aufnahme - Reflexion - Aktion



Aus guten Büchern erwächst ein neuer Blick auf uns und auf die Welt. Beispielsweise werden wir mitfühlender oder gelassener. Und auch konkrete Aktionen können entstehen, Aktionen gegen Ungerechtigkeiten, bis hin zu Rebellion und Umsturz.

Dieser Ausstoß oder Aktion steht am Ende der Kette. Wir haben neue Werte erlangt. Unsere empathischen Fähigkeiten, unser Verständnis von dem, was sein könnte und der Abgleich mit der Wirklichkeit kann zu einem Schmerz führen. Der Wunsch, in der beste aller Welten zu leben, wird in die Tat umgesetzt.




7 Kommentare:

  1. Hallo,

    ein schöner Artikel!

    Über das Thema habe ich im Laufe der Jahre öfter nachgedacht. Früher habe ich mich beim Lesen selten aus meiner Komfortzone begeben – das war bei mir meine Romantasy-Phase (womit man mich inzwischen jagen kann). Aber irgendwann habe ich mir gedacht: da fehlt mir was, das reicht mir irgendwie nicht. Und dann habe ich angefangen, mal andere Genres zu lesen und gerade auch Bücher, die ich früher direkt zur Seite gelegt hätte.

    Ich lese immer noch Krimis und Thriller, die man nicht hochliterarisch nennen kann. Aber eben nicht nur, dazwischen kommt dann mal ein Klassiker oder anspruchsvolle Gegenwartsliteratur, bei der ich das Gefühl habe, mein Gehirn kriegt Muskelkater.

    Aber viele Leser, die ich kenne, sagen: "Aber das will ich doch gar nicht. Ich lese nicht, um mich zu fordern, sondern als Entspannung und Erholung von der Arbeit."

    Ich denke, das muss im Grunde jeder selbst wissen, aber ich will selber nicht mehr zurück zur Lektüre von Büchern, an denen mich nichts fordert und auch nichts wirklich überrascht... Persönlich kann ich nur empfehlen, die Komfortzone einfach mal testweise für ein Buch zu verlassen und zu schauen, was das mit einem macht. :-)

    LG,
    Mikka
    [ Mikka liest von A bis Z ]

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    1. Hallo Mikka,

      wie Sheldon Cooper mal so schön sagte in The Big Bang Theory: "was ist falsch an der Komfortzone? Es heißt nicht umsonst 'Komfort'". :D. Und der innere Schweinehund brüllt...

      Aber wir sind uns beide einig, dass es sich lohnt, die Komfortzone zu verlassen und sein Hirn zu fordern, sich da wirklich Neuem zu öffnen. (Das gilt übrigens auch für andere Bereiche, im Job mal neue, zuerst unangenehme Aufgaben zu übernehmen z.B.).

      Dein Bild mit dem Muskelkater im Gehirn gefällt mir wirklich gut; so fühlt sich das an.

      LG,
      Daniela

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  2. Hallo Daniela,

    ein toller Artikel.
    Und ich bin ganz bei Dir, dass man seine Komfortzone auch mal verlassen sollte.

    Auf der anderen Seite bin ich mir nicht so sicher, dass jeder was aus Sachbüchern rausholt oder aus Liebesbüchern nichts. Jemand, der geistig sehr unflexibel ist, wird bei einem 2.Weltkriegbuch vielleicht nur denken: "Ja und?! Ist schon alles lange her."

    Ich glaube, der Haken an Deinem Beitrag ist, dass Du davon ausgehst, dass jeder so sensibel und offen ist wie wir. Sicher, viele von den anderen greifen evtl erst gar nicht zu einem Buch. Aber ich glaube, es gibt auch Leser, die sehr viel konservativer und intoleranter sind.
    Ich kenne sogar keine Buchbloggerin, die ich als sehr intolerant erlebe. (Schreib ich Dir mal privat.)
    Also man kann auch als Vielleserin und auch als Sachbuchleserin in seiner Komfortzone bleiben.
    Ich denek auch immer wieder über das Thema nach und bin immer wieder sehr erstaunt, wenn ich auf Blogger treffe, die in mancher Hinsicht völlig verbohrt sind.

    Ich finde Deinen Beitrag toll und sehe es auch so. Aber ich glaube, es trifft nicht auf alle zu.

    Spannend, spannend. Lass uns im Gespräch bleiben. ^^

    Herzlich
    Petrissa

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    1. Hallo Petrissa,
      das stimmt, eine geistige Flexibilität ist mal die Grundvoraussetzung dafür.
      Ich weiß noch, dass wir mit der Schule mal in "Schindlers Liste" in eine Sondervorführung sind. Und es waren nicht alle innerlich bereit dafür, sag ich mal. Oder emotional überfordert. Du kannst dir vorstellen, was passiert ist?
      Deshalb sage ich auch, dass jede neue Facette (am Besten) einen Anknüpfungspunkt braucht, und nicht immer ist es die richtige Zeit für eine bestimmte Geschichte.
      Und ja - auch Liebesromane können einen weiterbringen, natürlich.
      LG
      Daniela

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  3. Guten Morgen Daniela!

    Ich mag zwar den Begriff "leisten" nicht so gerne, aber das ist einfach wieder ein "Wort" das sehr belastet ist und eine unterschiedliche Wahrnehmung mit sich trägt :)

    Dein Beitrag ist aber toll geschrieben und zeigt sehr schön, wie Bücher - und vor allem Geschichten an sich uns weiterbringen können. Früher wurden sie erzählt und dann miteinander darüber gesprochen, heute werden sie gelesen.
    Ich denke auch dass man immens viel aus Büchern mitnehmen kann, aber man sollte sie auch mit offenen Augen lesen. Grade was Charaktere betrifft, wie sie handeln, warum, was dahintersteckt - das öffnet sehr den Horizont auch im Umgang mit seinen Mitmenschen.
    Natürlich auch die vielen Gesellschaftsperspektiven grade in Fantasy und SciFi Romanen, eine wundervolle Möglichkeit um neue/alte Meinungen zu teilen und sich darüber auszutauschen.

    Ich hab deinen Beitrag heute auch gerne in meiner Stöberrunde geteilt!

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Hallo Aleshanee,
      vielen Dank für das Teilen in der Stöberrunde.
      Interessant finde ich, dass für dich "leisten" negativ belastet ist. Diese Assoziation hatte ich gar nicht.
      Vielen Dank auch für dein Lob und für die wichtige Ergänzung über die Charaktere und Gesellschaftsperspektiven.
      LG
      Daniela

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    2. Haha, ja, etwas zu "leisten" hört sich für mich nach Arbeit und irgendwie auch nach Zwang an etwas zu müssen. Aber wie gesagt, grade bei Wörtern ist die Interpretion und Wahrnehmung ja immens vielfältig ;)

      Viele sagen ja ein Buch soll sie einfach nur unterhalten - für mich ist das ein bisschen zu wenig, auch ich mag mir etwas aus dem Buch "herausziehen" können. Und an sich kann man das aus jedem Buch, weil ja immer eine "Meinung" vom Autor mitfließt, ob er das jetzt beabsichtigt hat oder nicht ...
      Aber ich bevorzuge definitiv Bücher, bei denen ich nachdenken "muss" oder die mich eben animieren, andere Perspektiven zu sehen, egal ob gesellschaftlich, oder menschlich oder auch andere Bereiche.

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