Montag, 29. Juli 2019

[Rezension] Anne Frank - Tagebuch

Anne Franks Tagebuch,
Buch und Blog

Das Tagebuch der Anne Frank ist ein sehr bekanntes Buch, das ich dennoch nie gelesen hatte. Aber diesen Monat hatte ich mir drei Bücher ausgesucht #GegendasVergessen: Das Verschwinden des Josef Mengele als Hörbuch, Die vollständige Maus als Graphic Novel/Comic und eben das Tagebuch von Anne Frank als Printausgabe.

Meine Ausgabe ist vom Anne Frank Fonds autorisiert. Sie enthält die ursprüngliche Fassung von Anne Frank sowie die Änderungen und Zusätze, die sie später hinzugefügt hat. Die erste Ausgabe, die nach dem Krieg ihr Vater herausgab, war gekürzt. Zum einen hatte er sich an bestimmte Längenvorgaben zu halten, dann hat er auch aus Pietät bestimmte Dinge gekürzt, z.B. über Sexualität oder die Kritiken an Annes Mutter.

So ein Buch zu bewerten, finde ich nicht leicht. Klar ist, dass hier nicht nur der reine Text für sich stehen darf, sondern auch sein geschichtlicher Kontext. In Das Verschwinden des Josef Mengele ergab sich bspw. ein interessanter Querverweis. Dort hieß es, dass das Interesse an den Verbrechen der Nazis und seine Verurteilung mit der Veröffentlichung des Tagebuchs der Anne Frank begann!

Erstmals wurden die Deutschen der Nachkriegszeit hautnah mit einem Mädchen konfrontiert, dass klug war, liebenswert, aber auch trotzig, anstrengend - ein echter Teenager eben; ein Mädchen eben und kein abstraktes Opfer der Nazis. Anne Frank hätte jede von uns sein können.

Ihr Schicksal setze ich als bekannt voraus (wer es noch nicht kennt, kann diesen Abschnitt überspringen). Anne Frank wurde 1929 als zweites Kind jüdischer Eltern in Frankfurt geboren, vier Jahre später flüchtete die Familie nach Amsterdam. 1940 überfiel die Wehrmacht die Niederlande. 1942 versteckte sich die Familie. Während des Versteckens führte Anne Frank Tagebuch. Anne Frank, ihre Schwester und ihre Mutter überlebten den Krieg nicht. Ihr Vater war der einzige Überlebende. Er gab ihre Tagebücher heraus; denn Anne Frank wollte Schriftstellerin werden und betrachtete die Tagebücher, die sie später teilweise selbst redigierte, als Basis und ersten Schritt. Was für ein Talent ist da in Bergen-Belsen gestorben. Was für Bücher hätte eine erwachsene Anne Frank über diese Zeit geschrieben? Doch das ist für immer vorbei.


Ihr Tagebuch beschäftigt sich viel damit, wie es ihr in dem Versteck ging. Acht Menschen waren dazu gezwungen, Tag und Nacht auf engstem Raum zusammenzuwohnen. Mit der Angst vor Bombardierungen und Denunziationen, oder das ihren Unterstützern etwas passierte. Ohne die Unterstützung von außen hätten sie nicht überleben können.

Heute Nacht habe ich viermal alle meine Besitztümer einpacken müssen, so laut haben sie draußen geballert. Heute habe ich ein Köfferchen gepackt und die notwendigsten Fluchtgegenstände hineingestopft. Aber Mutter sagte ganz richtig: "Wohin willst du denn flüchten?" (S. 105) Im Notfall ist für uns die Straße genauso lebensgefährlich wie eine Bombardierung. (S. 120)

Man kann sich vorstellen, was dieses Eingeschlossensein, dieses Zusammengepfercht sein mit so vielen Menschen mit einen macht. Oft berichtet Anne von Streitigkeiten unter den Bewohnern. Sie selbst muss Baldrian nehmen, ist aber oft traurig. Diese Stelle hier bringt ihre Gefühle gut auf dem Punkt.
Ich irre von einem Zimmer zum anderen, die Treppe hinunter und wieder hinauf, und habe ein Gefühl wie ein Singvogel, dem die Flügel mit harter Hand ausgerissen worden sind und der in vollkommener Dunkelheit gegen die Stäbe seines engen Käfigs fliegt. (S. 141)

Es fühlt sich ein bisschen seltsam an, das Tagebuch zu lesen, denn Anne Frank gibt, vor allem am Anfang, oft ungefiltert ihre Wut weiter, z.B. auf ihre Mutter. Sie schreibt so, wie ein Teenager nun mal schreibt und im Normalfall ist das nichts, was man unbedingt lesen wollen würde. (Puh, ich konnte mich als Teenager selbst nicht leiden.)

Andererseits hat sie einen Schreibstil, der mich gefesselt hat und der sich auch im Lauf des Buches verfeinert. Da denke ich wieder, was für Bücher hätten wir einer erwachsenen, gereiften Anne Frank erwarten können? Das ist die eigentliche Tragik, die die Leser umtreibt. Da ist ein Leben viel zu früh zu Ende gegangen.

Und später im Buch reflektiert sie dann selber ihre früheren schnellen Verurteilungen. Das Leben im Versteck lässt sie schneller erwachsen werden.
Trotz allem war ich 1942 auch nicht ungeteilt glücklich. Ich fühlte mich oft verlassen, aber weil ich von morgens bis abends beschäftigt war, dachte ich nicht nach und machte Spaß. (S. 203)

Anne hat eine äußere und eine innere Seite. Äußerlich ist sie laut, lärmend und extrovertiert. Doch innerlich ist sie sehr nachdenklich. Sie hat eine fundierte Meinung und sowohl den Wortschatz als auch den Schneid, diese mitzuteilen. Von den Erwachsenen wird dies oft einfach nur als frech empfunden, was Anne wiederum sehr traurig macht. Für sich selbst entdeckt sie das innere Glück und beschließt, es sich zu bewahren.
Mein Rat ist: "Geh hinaus in die Felder, die Natur und die Sonne. Geh hinaus und versuche, das Glück in dir selbst zurückzufinden. Denke an all das Schöne, das noch in dir und um dich ist, und sei glücklich.!" (S. 205)

Das Tagebuch und weitere Geschichten, die sie im Versteck, im Hinterhaus, schrieb, waren ihr Startpunkt zur Schriftstellerei. Denn Autorin oder Journalistin wollte sie werden, und bloss keine gewöhnliche Hausfrau!
Aber ich will weiterkommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so leben muss wie Mutter, Frau van Daan und all die anderen Frauen, die ihre Arbeit machen und später vergessen sind. ... O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen ... Ich will fortleben, auch nach meinem Tod. Und darum bin ich Gott so dankbar, dass er mir bei meiner Geburt schon eine Möglichkeit mitgegeben hat, mich zu entwickeln und zu schreiben, also alles auszudrücken, was in mir ist. (S. 238)

Und dieses Ziel hat sie erreicht. Anne Frank ist in gewissem Sinne lebendig geblieben. Viele Menschen - Jugendliche und Ältere - lesen ihr Buch, besuchen das Museum, das sich ihr widmet und versuchen, etwas von der Lebendigkeit Annes zu bewahren. Ihr Tod war unnötig, aber sie hat nicht umsonst gelebt; und das ist ein kleiner Trost.


Im Buch sind umfangreiche Zusatzmaterialien enthalten, die ich informativ fand und teilweise parallel zum Tagebuch gelesen habe, so wie ich es für mich passend empfand. Außerdem gibt es auch viele Fotos von Anne und ihrem Umfeld.

Ich habe auch Hochachtung vor ihrem Vater, der ja seine ganze Familie verloren hat und dann von seiner Tochter nur noch sein Tagebuch hatte; ein Werk, das sehr persönlich ist. Es hat ihm sicherlich noch mal bewusst gemacht, wen er da verloren hatte, hat ihm vielleicht Seiten an Anne gezeigt, die er vorher nicht kannte. Und dennoch hat er die Stärke gehabt, ihr Tagebuch herauszugeben und hat damit auch die Welt ein Stück verändert, besser gemacht.


Lesen oder nicht?


Lest es. Lernt Anne kennen. Und haltet den Schmerz aus, der auf ihren Tod folgt. Vergeßt dieses tapfere, lustige und begabte Mädchen nicht - und vergeßt nicht, dass sie an den Faschismus und die Unmenschlichkeit ihr Leben verlor.

#GegendasVergessen

⭐⭐⭐⭐⭐


Bibliographische Daten


Titel: Anne Frank Tagebuch
Autor: Tagebuch

Ausgabe: Print
Seitenzahl: 365
Verlag: Fischer
26. Auflage, März 2017
ISBN-13: 978-3596-152773

Herausgeber: Otto Frank und Mirjam Pressler
Originaltitel: De Dagboeken van Anne Frank


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8 Kommentare:

  1. Liebe Daniela,
    ich habe erst das ungekürzte Hörbuch aus Argon Verlag gehört und dann wollte ich das Buch noch in Händen halten und mehr erfahren und habe mir die neueste Gesamtausgabe mit zusätzlichen Informationen zu Anne und ihrer Familie... gekauft. Diese Gesamtausgabe ist fantastisch! Empfehle ich dir auch. Die Graphic Novel ist dann noch eine super Ergänzung. Wirst du sehen, wenn du sie auch noch gelesen hast.

    HIER ist meine Rezi zum HB.

    GlG, monerl

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    1. Hi monerl,
      danke für den Link!
      Ja, der Graphic Novel spukt mir noch im Kopf herum ... aber nun ist erstmal gut für den Juli :)
      Das nächste Buch, das ich lesen will ist übrigens das über die afghanischen Töchter. Es liegt schon so provizierend auf der Wohnzimmercouch herum ;)

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  2. Hallo Daniela,

    die Tagebücher habe ich in meiner Schulzeit und dann später noch einmal gelesen und immer wieder haben sie mich tief ergriffen.
    Der Holocaust wird darin so spürbar geschildert, dass es jeder Leser für sich begreift, wie schrecklich diese Vergehen waren oder sind.

    Liebe Grüße
    Barbara

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    1. Hallo Barbara,
      "ergriffen" ist das richtige Wort. Das ist das, was auch ich spürte.
      Liebe Grüße
      Daniela

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  3. Liebe Daniela

    Das Buch habe ich mir im Juli gekauft und hoffe darauf, es im August endlich lesen zu können, auch wenn ich denke, dass es mir wirklich nahe gehen wird.

    Alles Liebe und vielen Dank für die einfühlsame Rezension
    Livia

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    1. Hi Livia,
      eine gute Entscheidung. Ich wünsche dir einen wachen und starken Geist bei der Lektüre.
      LG
      und vielen Dank für das Kompliment
      Daniela

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  4. Liebe Daniela,

    ich gestehe, ich habe das Buch auch noch nicht gelesen.
    Ich habe es immer wieder vor und muss nun sagen, zum Glück habe ich es nicht aus der Bücherei mitgenommen. Denn, dort habe ich immer nur die gekürzte Version gesehen. Also bis eben wusste ich nicht, dass es da zwei Versionen gibt (oder drei, was Monerl schreibt?). Und die in der Bücherei war sehr dünn.

    Ich mag ja Gesamtausgaben generell sehr gerne! Ich finde es einfach spannend, was Verlage/Herausgeber wegkürzen. Kennst Du "Was nun, kleiner Mann?" von Hans Fallada? Die ungekürzte Ausgabe ist ganz, ganz toll!

    Du hast Dich oben übrigens verschrieben. Im 5. Absatz -> " (wer es noch nicht kennt, kann diesen Abschnitt überspringen)" Du meinst aber sicher, wer es schon kennt, oder?

    Deine Zitate sind beeindruckend. Anne hat schon einen sehr guten Schreibstil.

    Ich werde gleich mal nach der Ausgabe suchen.
    Danke für die gute Rezension!

    Liebe Grüße
    Petrissa

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    1. Hi Petrissa,
      das erstaunt mich jetzt ... ich erinner mich, dass du es gesagt hast, aber du wirkst wie jemand, der das Buch schon kennt.
      Ja, es gibt verschiedene Versionen, das steht bei mir im Vorwort drin. Diese Gesamtausgabe scheint auch noch ihre anderen Geschichten zu enthalten, über die sie auch in ihrem Tagebuch berichtet. Kleine "Übungsstückchen".
      Hans Fallada muss ich auch noch lesen, erinner mich im Dezember mal daran :D
      Doch, ich meinte es so ... wer ihr Leben noch nicht kennt und nicht gespoilert werden möchte, der sollte den Abschnitt überspringen. Aber irgendwie war das seltsam ausgedrückt, das seh ich grade auch.
      Ich freu mich, dass dir die Rezi gefallen hat.
      LG
      Daniela

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