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DAS BUCH
Schreibaufgabe: Du findest auf der Strasse ein Buch, welches sehr mitgenommen aussieht, plötzlich fängt es an mit dir zu sprechen. Schreibe das Gespräch auf.
"Schöne Ferien", wünschte der Lehrer der Schulklasse und schloß mit einem Ruck die braune Aktenmappe. Viele der Schüler hatten ihm schon gar nicht mehr richtig zugehört. Es war die letzte Stunde vor den Ferien, Zeugnisvergabe bei ihrem Klassenlehrer. Zunächst hatte erwartungsvolle Spannung in der Luft gelegen, die nach dem Austeilen der Zeugnisse in sich zusammengebrochen war. Schweigend, oft ein wenig bang, hatte jeder der Schüler sein Zeugnisheft geöffnet. Einige seufzten nur und schlugen das Heft gleich wieder zu. Andere konnten ihr Glück kaum fassen und jubelten. Aber alle hatten Diskussionsbedarf und der Lärmpegel in der Klasse war beständig höher geworden, bis ihr Lehrer sie schließlich entlassen hatte. Eine Horde 13- und 14-jähriger auf dem Weg in die Ferien.
Auch Luise packte ihr Zeug zusammen und trottete aus dem Klassenzimmer. Große Ferien, sechs Wochen Nichtstun lagen vor ihr!
"Was hast du in Physik", fragte Bibi aus ihrer kleinen Clique. "Lass mal sehen."
"Grad noch so 'ne 3."
"Haste aber Glück gehabt, du hättest dich nämlich auch mal melden können." Bibi kritisierte gerne andere Leute und tat dabei so, als würde sie gute Ratschläge erteilen. Tatsächlich war sich-freiwillig-melden etwas, das Luise ganz sicher nicht tun würde. Ganz sicher würde sie nicht von sich aus Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf dieses Pickelgesicht, ihren fetten Bauch, ihr häßliches Gesicht mit der dummen Brille. 'Du bist weder fett noch häßlich und Pickel sind normal in deinem Alter', predigte ihre Mutter, aber die hatte ja mal überhaupt keine Ahnung von den schweren Umständen eines leidgeplagten Teenagers.
"Kommst du noch mit ins Eiscafé, feiern? Fabian und Rallo kommen auch mit", fragte Tina, doch Luise verneinte. Ihre Mutter würde auf sie warten, sie bedauere. Das war eine fade Ausrede, die Tina mit einigem Nachdenken auch aufdecken würde, wie Luise kurz darauf merkte und vor Panik zu schwitzen anfing. Denn ihre Mutter arbeitete untertags und wartete nicht auf sie. Luise hatte nur keine Lust, zusammen mit Fabian, Rallo, Tina und Bibi in einem Eiscafé zu sitzen. Das Problem war, dass sie in Rallo verliebt war, aber der hatte nur Augen für Bibi - ausgerechnet Falsche-Schlange-Bibi - und stattdessen schmachtete Schiefzahn-Fabian abwechselnd sie und Tina an, und auf den hatte sie nun wirklich gar keine Lust.
"Gut, dann eben nicht", sagte Tina und die Clique winkte Luise noch fröhlich so, als sie Richtung Eisdiele liefen.
'Na, die haben ja viel Spaß ohne mich," dachte Luise und fühlte sich ausgeschlossen. Während sie heimlief, wurde sie immer mürrischer. 'Sie hätten sich auch etwas mehr Mühe geben können, mich zu überzeugen', schob sie in Gedanken den schwarzen Peter ihren Freunden zu. Wütend stapfte sie durch die Straßen - und stolperte auf einmal über etwas.
"Scheiße", fluchte sie und kickte das Ding, über das sie gestolpert war, in hohem Bogen in eine Hecke.
"Aua!", brüllte das Ding.
Luise erschrak. Sie hatte gar nicht genau geguckt, was sie da weggekickt hatte. Rechteckig war es gewesen und rot - und es konnte offensichtlich sprechen. Heilige Scheiße! Sie trat zur Hecke und schob vorsichtig einige Zweige zur Seite.
"Äh, hallo, Sie - äh - Ding, es tut mir sehr Leid, wenn ich Ihnen wehgetan habe", sprach sie im Flüsterton die Hecke hinein und hoffte, dass sie niemand beobachtete. Das wäre ja äußerst peinlich, wenn jemand sah, wie sie mit der Hecke sprach.
"Na, wenigstens hast du Manieren", ertönte eine etwas exaltierte Stimme. "So, und nu heb mich mal auf, wir wollen ja nicht ewig hier in der Hecke liegen. Ihhh.... hier ist sogar Mäusekot oder so was."
"Wir?"
"Plural majestics, was lernt ihr eigentlich heutzutage in der Schule? Und ich bin auch kein Ding - ich bin DAS BUCH."
"Ein Buch!", echote Luise und hob ein kleines rotes Buch aus der Hecke auf. Es war etwa so groß wie ihr kleiner Finger und ganz in roten Samt eingeschlagen. Am Buchrücken war ein Loch mit einer Metallöse. Eine Schnalle verhinderte, dass die Seiten von selbst aufgingen. Das Buch sah mitgenommen aus - der Samt war verdreckt und verklebt, die Ecken angeschlagen.
"Nicht 'ein Buch', ich bin DAS BUCH", sprach da DAS BUCH.
"Huch", sagte Luise und ließ DAS BUCH vor Schreck fallen.
"Autschi", sprach DAS BUCH und seufzte schwer. "Ich bin heut aber auch gestraft. Jetzt heb mich doch bitte wieder auf." Luise gehorchte. "Brav! - Oho, halt, was machst du denn da!"
Luise schreckte wieder zusammen, lies DAS BUCH aber diesmal nicht fallen. Sie hatte die Schnalle geöffnet und das Buch aufgeschlagen.
"Ich wollte nur mal lesen", entschuldigte sie sich und dann, neugierig: "Auf deinen Seiten steht gar nichts richtiges, nur Buchstaben - ein großes A, ein kleines a, so ein A mit einem Boppel oben..."
"Das spricht man wie ein dunkles'o'", sagte das Buch etwas von oben herab und dann, in einem beleidigten Tonfall: "Außerdem finde ich es ganz schön übergriffig von dir, mich einfach aufzuschlagen. Öffnet du immer ungefragt die Verschlüße von anderen Leuten?"
"Ja, aber du bist doch ein Buch!"
"So, nun noch einmal ganz von vorn. Wie erwähnt, ich bin DAS BUCH. Und mit wem habe ich das werte Vergnügen?"
"Luise Neumaier", antwortete Luise automatisch. "Freut mich, Buch."
"Nein, mein Name ist nicht 'Buch', mein Name ist DAS BUCH. In Großbuchstaben."
"Ach so, na gut, freut mich, DAS BUCH."
DAS BUCH und Luise schwiegen daraufhin, doch bald schon platze es aus Luise heraus: "Du kannst sprechen!"
"Ach? Gottchen, du bist aber ein Blitzmerker. Na und? Kann ich halt sprechen. Kannst du doch auch. Ist doch nix besonderes."
"Naja, Bücher sprechen doch normalerweise nicht."
"Hahahaha", lachte sich DAS BUCH schlapp. "Na, da bin ich aber an ein ganz unwissendes Exemplar geraten. Das wird schwer. Hör mal, Luise Neumaier, warum machst du mich jetzt nicht einfach an deinen Schlüsselbund - ja, hier mit der Metallöse - dann gehen wir heim zu dir, du machst ein wenig meinen Samtumschlag sauber und dann plauschen wir beiden Hübschen mal in aller Ruhe." Das war mehr ein Befehl denn ein Vorschlag und Luise befolgte ihn.
Daheim setzte Luise DAS BUCH sorgsam auf ihren Schreibtisch und putzte den Samtumschlag mit einer frischen Zahnbürste. In einem Wasserglas wusch sie den Dreck sorgfältig aus. DAS BUCH schnurrte zufrieden vor sich hin. Es schien insgesamt ein sehr eigenwilliges Exemplar eines sprechenden Buches zu sein. Nicht, das Luise schon oft das Vergnügen gehabt hatte, ein sprechendes Buch zu sehen - vielleicht waren die ja alle so zickig, herrisch und besserwisserisch?
Am Tag der Zeugnisvergabe gingen Luise und ihre Eltern traditionell Pizza essen und Luise freute sich eigentlich sehr darauf. Bloss heute wäre das sprechende Buch so viel interessanter gewesen.
"Ich werde nun sowieso etwas ruhen", sagte DAS BUCH mit blasiertem Unterton. "Wir können später plauschen."
"Nun gut", sagte Luise.
Während des Essens verhielt sich DAS BUCH still, so dass Luise auf der Heimfahrt schon zweifelte, ob DAS BUCH noch sprechen würde. Erst wollte sie DAS BUCH ein bisschen knuffen, konnte sich aber lebhaft vorstellen, was es dazu sagen würde und ließ es bleiben. Sollte niemand behaupten, dass sie sich nicht zusammenreißen konnte, wenn es darauf ankam!
Spät war die Familie erst zurückgekommen und Luise zog sich gleich in ihr Zimmer zurück. 'So, nun aber', dachte sie, jetzt würde DAS BUCH ihr alles erklären. Und DAS BUCH sprach, in feierlichem Tonfall:
"Ich bin DAS BUCH, das bedeutet, ich bin eine Art Meta-Buch, ein Übersetzer, wenn du so willst. Solange ich bei dir bin, kannst du auch andere Bücher sprechen hören!"
"Was?", entsetzte sich Luise, "das heißt, alle Bücher quatschen mich jetzt voll?"
"Na, was soll denn das heißen? Ist dir meine Gegenwart so unangenehm?"
"Äh, nein, du bist ja ganz nett, aber ---"
"Kleines, welche Bücher hast du denn bisher gelesen?"
"Schulbücher."
"Nicht dein Ernst!"
Luise zuckte bloss mit den Schultern.
"Bücher können dein Leben verändern!!"
"Ja, ich weiß".
"Mehr Emotion, bitte!" DAS BUCH sprach "Emotion" sehr englisch aus.
Luise musste lachen und DAS BUCH sprach weiter:
"Morgen gehen wir beiden Hübschen zu einem Bücherschrank, und jetzt kannst du mir noch etwas aus deinem Leben erzählen. Ich bin nämlich auch Leseberater, ja, ich hab da ne richtige Fortbildung zu gemacht, und ich werde gucken, welches Buch was für dich ist!"
Luise staunte, welche Welt sich ihr da erschloß. Sprechende Bücher, die Schlüssel zu anderen Büchern waren, Fortbildungen als Leseberater hatten - und allgemein zwar etwas zickig waren, aber irgendwie auch cool. Sie kuschelte sich in ihr Bett - das würde eine richtige Pyjama-Party werden - und begann, mit DAS BUCH zu reden. Sie erzählte ihm alles. Dass sie zwar ihre Haare sehr gelungen fand, sich aber auch dick fühlte und irgendwie häßlich, gerne einen Freund hätte, andererseits aber auch gar nicht wusste, was sie mit ihm dann machen sollte (hihihi), dass sie so mittelgut in der Schule war, aber für kein Fach irgendeine besondere Leidenschaft hegte, dass sie zwar Schulfreunde hatte, aber andererseits nicht das Gefühl hatte, mit ihnen besonders tiefschürfende Gespräche zu führen. Kurzum - das Leben war für Luise zwar ganz okay, aber es fehlte die Leidenschaft; das zumindest waren die Worte von DAS BUCH. Es erwies sich als erstaunlich guter Zuhörer. Luise redete und redete, redete sich alles von der Seele - und schlief dabei irgendwann ein.
- Fortsetzung folgt -
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Über den #WritingFriday: Elizzy von Readbooksandfallinlove hat ihn ins Leben gerufen, um das kreative Schreiben zu fördern. Jeden Monat gibt es verschiedene Themen, aus denen man wählen kann. Eine Geschichte, ein paar Zeilen, ein Gedicht, ausgedacht oder selbst erlebt - alles ist möglich.
Die Themen für den Juni:
- Ein freier Tag ohne Smartphone, Internet und Co, schreibe auf wie dieser bei dir aussehen würde.
- Erzähle uns von einem Wunsch, denn du aus Angst noch nie angegangen bist.
- Der Sommer beginnt, erzähle aus der Sicht eines Bikinis.
- Du findest auf der Strasse ein Buch, welches sehr mitgenommen aussieht, plötzlich fängt es an mit dir zu sprechen. Schreibe das Gespräch auf.
- Schreibe eine Geschichte, die mit dem Satz „Gwenny hatte nun endlich begriffen, dass sie weg gehen musste.“ beginnt.
Lieb Daniela,
AntwortenLöschensehr süß, deine Geschichte! Mir gefällt Luise sehr und ich wünsche ihr, dass sie durch das Buch mehr Selbstvertrauen bekommt. :-)
Ein Meta-Buch! Was eine außergewöhnliche Idee! Ich merke schon, deinen Fantasy scheint wohl grenzenlos. Auch für diese Schreibaufgabe habe ich noch keine zündende Idee gehabt. Aber ich freue mich total, all eure interessanten Geschichten zu lesen.
Ich habe mich heute mit dem Smartphone, Internet & Co. auseinandergesetzt. HIER findest du meinen Beitrag.
Wünsche dir ein schönes Wochenende,
glG vom monerl
Hi monerl,
LöschenAusgangspunkt war die Überlegung, dass, wenn ein Buch spricht, es immer nur wie sein Inhalt sprechen kann, also z.B. romantisch etc. So war DAS BUCH erst aus der Not geboren udn hat sich dann selbstständig gemacht.
Liebe Daniela,
AntwortenLöscheneine schöne Geschichte. Ich habe ein paar Formulierungen zum ersten Mal gelesen, zum Beispiel "echote Luise" oder "mit blasiertem Unterton". Den Mechanismus, sich selbst auszuschließen, dann aber gekränkt sein und glauben, man wird ausgeschlossen, finde ich nachvollziehbar. Die Stärke der Geschichte ist die Persönlichkeit des BUCHES und die Beziehung zwischen BUCH und Luise (zum Beispiel die Pflege durch die Zahnbürste). Da darf man sich auf die Fortsetzung freuen.
Viele Grüße
Sebastian
Hi Sebastian,
Löschendeine differenzierte Rückmeldung hat mich sehr gefreut.
Ja, so ein Mechanismus war so typisch Teeny, eine furchtbare Zeit :D
Hmm... die Formulierungen fand ich jetzt gar nicht so außergewöhnlich, aber ich freue mich, dass sie es offensichtlich sind.
DAS BUCH hat eine interessante Persönlichkeit, das stimmt, es hat aber viel Spaß gemacht.
Sehr genial XD
AntwortenLöschenMusste schmunzeln, als die beiden aufeinander getroffen sind.
Feiner Text & schöne Idee!
Vielen Dank :)
LöschenLiebe Daniela, wundervoll geschrieben mir gefällt deine Geschichte ausgesprochen gut!
AntwortenLöschenVielen Dank, Elizzy :)
LöschenOh Wow. Das könnte fast ich sein. Bis auf die Pickel. Da hatte ich wenigstens Glück. Ich war auch immer super schüchtern in der Schule und hab mich eher selten gemeldet. So ein Buch ist echt Gold wert, vor allem als Teenie. Eine wirklich schöne Idee mit dem Meta-Buch...ich musste so schmunzeln, als sie dachte all ihre Bücher würde sie jetzt voll quatschen...hihihi..
AntwortenLöschenIch habe den Offline Tag genommen. https://wp.me/p8qB43-6Oq
Schönes Wochenende
:D
LöschenJaaa, ich war auch so --- schwierig, kompliziert, leidend, schüchtern (aber auch vorlaut...). Nur hab ich schon immer viel gelesen, das haben Luise und ich nicht gemeinsam. Aber das ist ja schließlich die Mission von DAS BUCH, zum Lesen hinführen
Liebe Daniela,
AntwortenLöschenDir ist hoffentlich klar: Aus der Nummer kommst Du nicht mehr raus!
MEHR!! VIIIIEEEEL MEHR!!! will ich davon! Ich will alles über die sprechenden Bücher wissen.
Genial, mit dem Meta Buch! Ich wechsel mal schnell zum heutigen Beitrag!
Liebe Grüße
Petrissa, die das auch will!
:D
LöschenVielleicht kommt DAS BUCH ja dann zu dir, halt mal die Augen offen :)
Liebe Daniela,
AntwortenLöschenda hast du aus diesem Thema ja war richtig interessantes gemacht. Ich mag DAS BUCH, es ist so herrlich sarkastisch :D Und ich mag deine Beschreibungen. Sofort war ich selbst wieder in der Schule und fühlte mich in meine Jugend versetzt.
Jetzt bin ich gespannt, wie es weiter geht.
Liebe Grüße, Gina
Hi Gina,
Löschenmeine Schulzeit ist schon lange her, aber irgendwie kam das wieder hoch. Schulzeit ist schon sehr prägend!