Mittwoch, 27. Juni 2018

[Rezension] Das Mädchen ohne Hände von Mariatu Kamara mit Susan McClelland

Das Cover zeigt das hübsche Gesicht von Mariatu
Heute UNO-Sonderbotschafterin
Das Mädchen ohne Hände
Autor: Mariatu Kamara mit Susan McClelland
Biographie, 380 Seiten
Pattloch, Oktober 2009
Original: The Bite of the Mango
Übersetzer: Dr. Ulrich Mihr
ISBN: 978-3629022295
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Woher: Im Bücherschrank Ettlingen am Entenseepark gefunden


So fängt es an


Mein Name ist Mariatu, und dies ist meine Geschichte.

Zusammenfassung


Dies ist die Geschichte von Mariatu Kamara, die in Sierra Leone auf dem Land aufgewachsen ist. Mit 11 Jahren fällt sie den Rebellen in die Hände. Nach 10-stündiger Gefangenschaft werden ihr beide Hände abgehakt. Schwer verletzt schleppt sie sich in das nächste Dorf und von dort nach Freetown ins Krankenhaus. Auch ihren zwei Cousins und ihrer Cousine wurden bei dem Überfall die Hände abgeschlagen.

Das arme Dorfmädchen, das nie zur Schule ging, gelangt später nach Kanada, bekommt dort eine Schulbildung und beschließt, ihre Geschichte aufzuschreiben.



Persönlicher Eindruck


Von dem Bürgerkrieg in Sierra Leone hatte ich natürlich in den Zeitungen gelesen, auch von der unsäglichen Praxis, Menschen Hände oder Füße abzuhaken. Das trifft total einen Nerv in mir, es ist eines der schlimmsten Dinge, die ich mir vorstellen kann, die einem zustoßen können und eines der grausamsten, das Menschen anderen Menschen antun können. Jemanden wissentlich zu verstümmeln, ich finde das unfassbar.

Als ich dieses Buch sah, hatte ich darum große Angst, es zu lesen. Doch ich dachte, Mariatu kann mit dem Geschehen leben und sie erzählt hier ihre Geschichte - ich werde ihr zuhören. Um ehrlich zu sein, an der Stelle, an der sie beschreibt, wie sie in der Gewalt der Rebellen war, wie diese die Dorfbewohner grausam mit Kugeln und Macheten umbrachten und ihr schließlich die Hände, beide Hände!, abschlugen, da rauschte es mir regelrecht in den Ohren und ich war den Tränen nahe, welchen Grausamkeiten hier ein 11-jähriges Mädchen ausgesetzt war.

"Warte!" brüllte der Rebell ... "Bevor du gehst, musst du dir erst noch deine Strafe aussuchen", sagte er.
Ich murmelte: "Was denn?" Und Tränen, die ich nicht mehr zurückhalten konnte, strömten mir über das Gesicht.
"Welche Hand willst du zuerst verlieren?"

Doch das Buch beschreibt nicht einfach nur ein Opfer. Wie es schon im Vorwort stand, es ist auch eine Geschichte darüber, wie man als Mensch es schafft, solche Dinge zu überwinden. Die vier Cousins, die alle das gleiche Schicksal teilen - Mariatu, Adamsay, Ibrahim und Mohamed - wohnen die nächsten zwei Jahre zusammen mit ihren Familien in einer Art Versehrtenlager in Freetown. Die Kinder betteln und ernähren so ihre Familien.
Mohamed zeigte sein typisches breites Grinsen. Trotz allem, was er durchgemacht hatte, blitzen seine Augen.
"[W]ie sollen wir jetzt miteinander raufen? Keiner würde gewinnen."
Ich weiß nicht, woher es kam, aber ich lachte und lachte. Ich kam mir vor wie der kleine Webervogel, aber dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass ich irgendwann einmal wieder fliegen lernen würde.

Mit dem Verlust der Hände zurecht zu kommen ist ein Schicksal, dass die vier mit vielen Menschen in Sierra Leone teilen, aber Mariatu muss noch mit einem weiteren Schlag zurechtkommen: Sie ist schwanger. Ungefähr einen Monat vor der Sache mit den Rebellen wurde sie von einem Freund ihrer Familie vergewaltigt. Sie wusste gar nicht, was er da tat. Nun ist sie schwanger, sagen die Ärzte, und sie ist verwirrt. Sie ist doch noch ein Mädchen, und schwanger werden doch nur Frauen? Eine Tante nimmt sie beiseite und klärt sie auf. Nun ist Mariatu klar, was passiert ist.


Das Buch ist in einer klaren, verständlichen Sprache beschrieben. Der Leser erfährt viel über die Mentalität in Sierra Leone, er lernt Mariatu kennen, mit all ihren Stärken und ihren Schwächen, und auch ihre drei Cousins und die Familie. Es sind nicht einfach Namen, sie werden Individuen.

Mariatu muss mit vielem zurechtkommen, es ist wahrlich kein einfaches Leben, doch sie findet auch viel Hilfe und Unterstützung. Jahrelang leben sie und ihre Familie in einem überfüllten Versehrtenlager und schlagen sich mit Betteln durch. Das Buch gibt Menschen wie ihr, die in einem der ärmsten Länder der Welt leben, eine Stimme.
Marie brach das Schweigen. "Schau nicht zurück, Mariatu. Wenn du zurückschaust, wirst du dein Leben mit Bedauern und einem endlosen Hätte-wäre-könnte verbringen. Schau immer nach vorn."

Ich hätte vielleicht noch mehr Berichte erwartet, wie genau Mariatu mit dem Verlust der Hände zurechtkommt, aber nach dem anfänglichen Schrecken kommt sie einfach zurecht. Wahrscheinlich weiß sie nicht genau wie, aber sie will und braucht gar keine Prothesen, sie kommt zurecht, hat sich dran gewöhnt. Es gibt keine Ganzkörperfotos von Mariatu im Buch - wie genau die Behinderung aussieht, bleibt also dem Leser überlassen.

Mariatu, so hab ich recherchiert, ist heute UNO Sonderbotschafterin und lebt in Kanada. Man findet von ihr ausreichend Videos im Netz, und kann sich so von ihrer Persönlichkeit und Arbeit auch ein visuelles Bild machen.

Das Buch hat mich gefesselt, ich hab es an einem Tag regelrecht verschlungen!


Lesen oder nicht?


Das Buch beschreibt das Leben der jungen Mariatu aus Sierra Leone, die im Bürgerkrieg beide Hände verloren hat. Eine ehrliche Lebensgeschichte. Wer Biographien mag oder sich für den Konflikt und das Schicksal der normalen Menschen in Sierra Leone interessiert, dem empfehle ich dieses Buch. Höchstbewertung aufgrund der wichtigen Botschaft und der emotionalen Wirkung, die das Buch erzielt!

Gesamtbewertung: ⭐⭐⭐⭐⭐

 



Weitere Meinungen


2 Kommentare:

  1. Liebe Daniela,
    mir geht das Buch ans Herz, alleine schon durch deine Rezension! Es ist mir unbegreiflich, wie teuflisch Menschen anderen Menschen gegenüber - und hier sind es KINDER - sein können. Wenn ich sowas lese, geht das Tier in mir richtig durch...
    Bin sehr gespannt auf das Buch und hoffe, es auch bald lesen zu können. Auch ich will Mariatu zuhören.
    GlG, monerl

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    Antworten
    1. und es waren Kindersoldaten, die diese Dinge getan haben

      Später im Buch trifft Mariatu sogar einen ehemaligen Kindersoldaten. Sie ist fähig, ihm in ihren Herzen zu vergeben und sogar Sympathie für ihn zu empfinden. Das beweisst einen so starken Charakter, das mir wirklich die Tränen kommen.

      Ich hoffe, dass das Buch gut ankommt. Büchersendungen brauchen immer ein wenig länger.

      LG
      Daniela

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