Mittwoch, 3. Januar 2018

Der Klang der Erinnerung von Anna Smaill

das Cover zeigt London, im Vordergrund ein See mit Sinuswellen
Klangliche Bilder

Roman, 295 Seiten
Arctis Verlag, September 2017
Genre: dystopische Fantasy
ISBN: 978-3038800064
Übersetzung: Katharina Hinderer
hier das Buch bei Amazon


Woher: Gewonnen bei einer Blogtour!



Erster Satz

Seit einer Ewigkeit stehe ich hier.


Zusammenfassung


Simon kommt nach London, im Gepäck nur den Beutel mit seinen Objekterinnerungen und eine Melodie und einen Namen, den ihm seine Mutter gegeben hat. Doch was hat es damit auf sich? Simon landet bei Lucien, einem fast blinden Jungen, und seinen Paktläufern, die im Untergrund Londons nach Bruchstücken von Palladium suchen, um sie zu verkaufen. Nach und nach setzt Simon mit Luciens Hilfe seine Erinnerungen zusammen. Nun wird klar, warum die Menschen um sie herum ihre Erinnerungen nicht behalten können, was die Ordnung und das Carillon damit zu tun hat. Simon und Lucien müssen handeln.



Handlettering zum Buch
Handlettering

Persönlicher Eindruck


Die Rezension fällt mir gar nicht so leicht, weil in diesem Buch so viele Themen und Stilmittel verworben sind, und meine Meinung über das Buch auch mehrfach wechselte.

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive von Simon erzählt. Zwei große Themen dominieren das Buch: Lieder und Erinnerungen. Wie ja auch der Name des Buchs ist: Der Klang der Erinnerung.

Melodien, Lieder, Töne - das spielt eine große Rolle. Denn in dieser dystopischen Zukunft ist die Musik für die Menschen das Wesentliche. Sie strukturiert ihren Tag, sie übermittelt Informationen, sie gibt den Takt vor. Jeden Tag versammeln sich alle Menschen beim Klingen, lauschen gemeinsam einer Melodie. Auch das Buch ist voller Musikbegriffe, denn so denken die Menschen: subito, tacet, presto, einige Takte lang, um nur einige zu nennen. Wenn der Pakt morgens in den Untergrund ausschwärmt, gibt ihnen Lucien mit einer Melodie vor, welchen Weg sie zu nehmen haben. Denn das ist die einzige Methode, sich den Weg einzuprägen.

Erinnerungen - die Menschen erinnern sich kaum an Vergangenes und bestimmte Informationen merken sie sich nur über die Melodien. Es gibt das Körpergedächtnis, das einem durch den Tag hilft - anziehen, frühstücken, Feuer machen, Versammlung der Gruppe, z.B. oder bestimmte Bewegungen, die zum Beruf gehören. Besonders wichtige Erlebnisse werden mit Hilfe von Objekten erinnert, das Objektgedächtnis.



Simon kommt nach London, damit fängt die Geschichte an. Was vorher war, erfahren wir nach und nach in Form von Rückblenden. Simons Mission war es, in London eine Frau namens Netty aufzusuchen. Das hat ihm seine Mutter auf dem Sterbebett aufgetragen. Was er genau von Netty wollte, erfahren wir zunächst nicht, denn auch Simon erinnert sich erstmal nicht.

Das ist auch eine der Besonderheiten, wie dieses Buch erzählt wird. So beschränkt und kurz-sichtig Simon durch sein Leben geht, so wird zunächst auch im Buch geschrieben, ebenso verwirrend, ungeklärte Einzelheiten ohne Zusammenhang; so begrenzt wie Simons Gedächtnis. Das hat es zunächst schwer gemacht, in die Geschichte reinzukommen. Doch letztendlich ist es ein geniales Stilmittel. So wie es dann Simon nach und nach gelingt, sich besser zu erinnern und die Erinnerungen miteinander in Beziehung zu setzen, so wird auch die Geschichte stringenter und verständlicher. Und diese Fähigkeit, überhaupt die Idee zu haben, Erinnerungen in Beziehung zu setzen, das ist eine von Simons Gaben.

Dabei hilft ihm Lucien, der nach und nach zum Hauptcharakter aufsteigt. Er ist fast blind und führt die Paktläufer an, er leitet die Gruppe durch das tägliche Ritual der Geschichte. Und er hilft Simon dabei, sich zu erinnern. Nicht nur für Simon wird er immer, auch im Buch nimmt er einen immer größeren Raum ein. Simon und Lucien zusammen merken schließlich, warum die Menschen keine Erinnerungen mehr haben und nichts behalten können. Um das besser zu verstehen, rekonstruieren sie die Geschichte um den großen Bruch. War es so, wie die Ordnung den Menschen das immer erzählt hat, oder ist die Wahrheit doch eine andere? Und wie das mit Wahrheiten so ist - wer sie sucht und erzählt, der lebt auch gefährlich. Simon und Lucien verlassen schließlich die Paktläufer auf der Suche nach der echten Wahrheit.

Was mich wirklich positiv überrascht hat, war die zarte Liebe zwischen Simon und Lucien. Selten so etwas schönes gelesen. Erste Gefühle, ein erster Kuss, tiefe Gefühle, Vertrauen, absolute Liebe und Ergänzung. Überhapt lebt das Buch von seinen Charakteren, sowohl Simon, als auch Lucien, und noch mehr die Kombination derr beiden. Ich hab diese Protas total liebgewonnen. Da klingt es sicherlich umso seltsamer, dass ich trotzdem oft eine gewisse Distanz aufgrund des Sprachstils zu beiden spürte.


Der Plot konnte mich allerdings nicht ganz überzeugen, zu viele Fragen bleiben offen. Wie und wann konnte die Ordnung das Carillon bauen und die Menschen unter Kontrolle bringen? Wie schafft sie es, den Menschen die Erinnerung zu rauben? Kann eine Melodie tatsächlich so etwas zustande bringen? Und wie weit reicht dieser Klang? Das Instrument steht in Oxford, in London und Essex sind die Auswirkungen spürbar; aber was ist mit außerhalb Großbritanniens? Reicht der Klang z.B. bis nach Australien? Und wenn nicht, was ist dort los? Und ob das mit dem Körpergedächtnis und Objektgedächtnis tatsächlich so funktionieren kann, da zweifel ich auch. Praktisch auch, dass niemand mehr lesen kann. Und dann Simons Gabe, dass er Erinnerungen sehen kann, das erschien mir fast als etwas zu konstruiert für die Geschichte. Und leider konnte ich mir auch nicht richtig vorstellen, auch wenn es beschrieben ist, wie man mit Hilfe einer Melodie den richtigen Weg findet. Bestimmte Begriffe werden anders geschrieben, z.B. Mettal und Leerlinge, leider erschloß sich mir nicht, warum sie anders geschrieben werden und ob das überhaupt einen Sinn hat.



Lesen oder nicht?


Eine Geschichte, auf die man sich definitiv einlassen muss. Die Erzählweise ist von Simons Erleben dominiert, von seinem Gedächtnis und von der Musikalität um ihn herum. Der Plot weist für mich einige Lücken in der Logik auf. Die Geschichte ist sehr atmosphärisch, mit zwei tollen Hauptcharakteren und einer bezaubernden Liebesgeschichte. Alles in allem ein Roman, der nachhallt. Deshalb doch vier Sterne, den es war definitiv etwas Besonderes.


Gesamtbewertung



Voller Stern
Voller Stern
Voller Stern
Voller Stern
Leerer Stern



Sofa-Fessler
4 Sterne: Sofa-Fessler
Dieses Buch hat mich inspiriert und bot Stoff zum Nachdenken. Eine besondere Geschichte, trotz einiger Schwächen.


3 Zitate


Ich nehme meine Flöte und fange an, auch wenn ich nicht weiß, wie ich die fehlende Stimme spielen soll. Nachdem ich mein ganzes Gefühl in den ersten Teil der Melodie gelegt habe, weiß ich es immer noch nicht, aber da ist es schon zu spät, also spiele ich sie einfach. Ich spiele sie hoch und unbekümmert und frei, so dass sie über allen anderen fliegt. [S. 38]

Er hält inne. "Wir müssen presto handeln. Wir müssen alles über dein Mutter wissen, woran du dich erinnern kannst. Wir müssen mehr über die Bedeutung des Liedes herausfinden. Uns bleibt nicht viel Zeit. Nutze jede freie Minute und versuch, dich zu erinnern. Ich werde das mit dir tönen."
"Ja", erwidere ich. Ich warte, aber Lucien ist tacet, immer noch in Gedanken. [S. 118]

Wie kann es sein, dass wir schon in der Stadt sind, ohne dass ich es gehört habe? Ich lausche auf die Geräusche von Bootsleuten, Marktliedern, Leerlingen. [Zufall, S. 301]


Meinungen anderer Blogger

  • Die fantastische Bücherwelt beschreibt in ihrem Blogtourbeitrag die Macht der Musik
  • Büchersalat fand den Stil poetisch, aber fast schon anstrengend mit zu vielen musikalischen Fachbegriffen. 3 von 5 Salatköpfen
  • Auch Manus Bibliothek sagt, dass der Stil wirklich anders ist, der musikalische Stil ist originell, aber macht es schwer lesbar
  • Worldsofbooksanddreams schreibt, dass sie das Gefühl hatte, genau wie ich, zu den Protagonisten immer eine gewisse Distanz zu halten 
  • Martinas Buchwelten bemängelt den schwierigen Schreibstil und die fehlende Spannnung.


10 Kommentare:

  1. Hallo Daniela,

    erstmal herzlichen Dank für die Verlinkung.

    Ich finde es immer super interessant, auch weitere Ansichten zum Buch zu lesen. Ich hatte so meine Probleme mit dem Hineindenken in Simon und fühlte irgendwie nur diesen Klang. Auch die vielen musikalischen Begriffe machten es mir schwer.

    Trotzdem freut es mich, dass dir das Buch doch ganz gut gefiel, denn man spürt durchaus die Liebe der Autorin zu ihrer Geschichte.

    Liebe Grüße
    Silke

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    1. Hallo Silke,
      ich glaube, ein Glossar der musikalischen Fachbegriffe hätte dem Buch gutgetan. Ich hab ja jahrelang Akkordeon gespielt und kannte vieles, anderes hab ich mir aus dem Kontext erschlossen; aber ich glaube schon, dass das bei vielen auch für Verwirrung gesorgt hat.
      LG - Daniela

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  2. Liebe Daniela,

    auch hier noch einmal danke für die Verlinkung! Wäre nur lieb, wenn du das "Fantastische Bücherwelt" in "Die fantastische Bücherwelt" ändern könntest. "Fantastische Bücherwelt" ist ein ganz anderer Blog, da gibt es leider öfter Verwechslungen :D

    Lieben Gruß

    Rica

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    1. Hallo Rica,

      oh, entschuldige, das war mir nicht so bewusst. Ich ändere es gleich!

      LG - Daniela

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  3. Liebe Daniela,
    danke für die Verlinkung. Bemängeln hört sich so negativ an ;)...3 Sterne sind bei mit keine wirklich schlechte Bewertung, sondern man kann es lesen, muss aber nicht sein.....ganz auf den Leser zugeschnitten. Ich las es in einer LR und viele haben das Buch gar nciht zu Ende gelesen! Ich fand es nur anfangs schwer zu lesen, was du auch beschrieben hast. Mit den musiklaischen begriffen hatte ich kaum Probleme, da ich 3 Musikinstrumente spiele und in einem Musikgeschäft arbeite. Die Musik, der KLang usw war auch mein der Antrieb das Buch lesen zu wollen. Mir fehlte es an Spannung...ja...und wie du auch sagst, bleiben doch einige Fragen offen. Aber es ist auch definitiv ein Buch, das im Gedächtnis bleibt.
    Liebe Grüße
    Martina

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    1. Hallo Martina,
      danke für die Klarstellung. Bei mir sind 3 Sterne auch der "Normalfall" sozusagen.
      Ich denke, ein Glossar hätte vielleicht den Musiklaien geholfen, aber es war ja auch viel an Metaphern dabei.
      Die Spannung hat mir jetzt nicht so gefehlt, aber ich hab auch ein Faible für plätschernde Geschichten ohne Spannung 😃
      Ja, es bleibt im Gedächtnis, deshalb bekam es trotz allem auch 4 Sterne.
      LG - Daniela

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  4. Huhu Daniela,
    auf dieses Buch bin ich damals neugierig geworden, als ich die Neuerscheinungen durchstöbert habe. Ich freue mich hier bei dir eine Rezension dazu lesen zu dürfen.

    Die Geschichte klingt zwar sehr interessant, jedoch muss ich sagen, dass mich gerade deine Worte bzgl. des Schreibstils (ebenso verwirrend, ungeklärte Einzelheiten ohne Zusammenhang) ein wenig abgeschreckt haben, auch wenn es sich hierbei um ein gutes Stilmittel handelt. Dass einge Fragen noch offen blieben, finde ich auch etwas schade.

    Sehr neugierig gemacht hast du mich mit der Liebesgeschichte zwischen Simon und Lucien. Das hört sich richtig gut an :o)

    Es scheint sich um ein Buch zu handeln, was etwas anders und vielleicht gerade deswegen auch etwas anders ist.

    Eine sehr schöne und aussagekräftige Rezension.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

    Ahhhh, jetzt habe ich beim Plaudern über das Buch fast vergessen auf dein Handlettering einzugehen. Ist das Handlettering nach dem Lesen deines (Handlettering)Buches entstanden? Ich freue mich so, dass deine Begeisterung für das Hobby wächst. Man merkt richtig,dass du voller Ideen steckst <3 An deinem Bild zum Buch gefällt mir sehr, dass du die verschiedenen Eindrücke in dem Lettering verarbeitet hast. Als Betrachter hat man einiges zu erkunden. Die verschiedenen Schreibstile, aber auch die vielen Wörter. Das weckt gleich noch einmal die Neugierde darauf, wie die einzelnen Worte mit der Geschichte in Verbindung stehen. Gefällt mir sehr <3

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    1. Hallo Tanja,
      zum Stilmittel der Verwirrung ist ja zu sagen, dass es besser wird, im gleichen Maß, indem auch Simon sein Gedächtnis verbessert. So war die Erleichterung darüber auch beim Leser spürbar.
      Die Geschichte ist definitiv anders :)
      Freut mich auch, dass dir mein Handlettering gefallen hat. Ich hab es direkt nach dem Buch gelettert, mit Hilfe des Handletter-Buches.
      Grundidee für dieses Lettering war, in die Mitte den Fluß zu stellen, an dem die Paktläufer leben, und drum herum wichtige Begriffe aus der Geschichte. Simon und Lucien sollten die gleiche Schriftart bekommen und genau wie der Fluß dynamisch gestaltet werden.
      Falls du die Geschichte liest, wäre es interessant zu wissen, wie das Lettering dann wirkt :)
      Es hat mir auch selber geholfen, alles zu strukturieren. (Und noch viel mehr beim anderen Buch "Star Trek Voyager" mit einer komplexen Handlung, da hat das Lettering bei mir selber für viel Klarheit gesorgt.)
      Liebe Grüße
      Daniela

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  5. Hallo Daniela!

    Eine richtig schöne und ausführliche Rezension zum Buch. Bei mir ist das Buch mittlerweile leider wieder von der Wunschliste geflogen - die Meinungen zur Geschichte sind einfach zu durchwachsen gewesen und ich kann Logigfehler und offene Fragen nach dem Lesen einfach nicht ausstehen :D

    Liebe Grüße
    Lisa von Prettytigers Bücherregal (Blog & Facebook)

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    1. Hallo Lisa,
      ja, das kann ich durchaus verstehen, so etwas stößt mich auch eher ab. Trotzdem bin ich froh, die Geschichte gelesen zu haben, mein Faible für ungewöhnliches.

      LG - Daniela

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