Titel: Seelenhaus
Autor: Hannah Kent
Genre: Historischer Roman
Woher: Gekauft aufgrund von monerls Rezension.
So fängt es an
"Sie sagen, ich soll sterben. Sie sagen, ich hätte Männern den Atem gestohlen und jetzt müssten sie mir den meinen stehlen."
Zusammenfassung
Nordisland 1828. Die Tat war grausam: zwei Männer erschlagen, erstochen und verbrannt. Angeklagt und zum Tode verurteilt wird Agnes Magnúsdóttir, eine Magd von Mitte 30. Die letzten Monate vor ihrer Hinrichtung soll sie auf dem Hof eines Beamten und seiner Familie verbringen. Entsetzt darüber, eine verurteilte Mörderin in ihrem Haus zu haben, meidet die Familie jeglichen Kontakt. Nur der junge Dekan Tóti, der die Verurteilte auf den Pfad der Wahrheit und der Buße führen soll, spricht mit ihr.
Als dann der Winter naht und die Gemeinschaft in der schroffen Landschaft zusammenrücken muss, enthüllt sich Agnes’ Geschichte vollständig und die Familie muss feststellen, dass das, was sie für wahr hielt, vielleicht nicht stimmt…
Persönlicher Eindruck
Dieser Bericht ist einer, der einem die Kehle zuschnürt. Ich habe brutal mit Agnes mitgelitten. Noch schlimmer, weil es nach einer wahren Begebenheit erzählt wird. Wie im Nachwort erläutert, war Agnes die letzte Person, die in Island hingerichtet wird. Gerade in den ersten Kapiteln ist es schwer auszuhalten, wie unmenschlich sie behandelt wird.
Agnes Magnúsdóttir wird eines Verbrechens angeklagt, für schuldig befunden und zum Tote verurteilt. Sie wird auf einem Hof festgehalten, von Bauern, die aber auch Angestellte des Staates sind. Ihre Vorgabe lautet wohl nur: Festhalten, es gibt keine Standards, die zu befolgen wären. Agnes wird in völliger Dunkelheit gehalten, sie kann sich nicht waschen oder frische Luft atmen. Regelmäßig tun die Bewohner des Hofes ihrem Körper Gewalt an, so berichtet sie, mit einer jungen, ruhigen Stimme, die sich längst an die Grausamkeiten gewöhnt hat. Schmerzen sind zu ihrem Alltag geworden. Auf Transporten bekommt sie weder Essen noch Trinken und die Fesseln scheuern ihr die Handgelenke auf. Doch all das interessiert niemand, denn für die Bewohner ist sie nur die Mörderin. Sie sehen nicht den Menschen in ihr, sondern nur die grausame, blutige Tat.
Ihr wurde vorgeworfen, Nathan und einen weiteren Mann ermordet zu haben. Das relativiert sich zwar schnell als Beihilfe zum Mord, sie wird aber dennoch als eiskalte Mörderin behandelt und der Landrat will an ihr ein Exempel statuieren. Für die junge und hübsche Zika hingegen, die ebenfalls der Beihilfe zum Mord angeklagt und zum Tode verurteilt wird, wird ein Gnadengesuch eingereicht. Keine Gnade, kein Verständnis hingegen für Agnes. Ist sie zu eigenwillig, zu klug, nicht mehr jung genug? An Agnes soll ein Exempel statuiert werden.
Die Überführung auf den Hof von Jon verbessert Agnes tägliches Schicksal, denn diese Familie kann sich, wie es die Frau des Hauses, Margrét, sagt, eine Gefangene nicht leisten, hat aber sehr wohl Verwendung für eine Magd. Und so lebt Agnes auf dem Hof ein relativ normales Leben, sie arbeitet und schläft an der Seite der Familie und des Gesindes. Doch zunächst schlägt ihr auch hier Ablehnung entgegen, z.B. weigert sich der Hausherr, mit ihr zu reden. Erst allmählich und fast unmerklich gewöhnt sich die Familie an sie.
Eines der wenigen Rechte die Agnes noch hat ist die Wahl des geistlichen Beistandes. Agnes wählt den sehr jungen Pfarrvikar Thorvadur. Sie hatte von ihm geträumt, lange vor diesen Vorkommnissen. Zunächst versucht Thorvadur, Agnes zu belehren, merkt aber schnell, dass er so nicht zu ihr durchdringt. Er fasst einen sehr weisen Entschluß: Er lässt sie einfach reden - und hört zu.
Und so erfahren wir von Agnes Kindheit, wie sie aufgewachsen ist und schließlich zu den Vorkommnissen, die zu dem Mord führten. Dabei wechselte meine eigene Meinung hin und her - hat sie ihn ermordet oder war sie ein Opfer der Umstände? Es schien mehr dahinter zu stecken, als ihre Umgebung ihr zunächst zugestand. Wenn Agnes von xx redet, so geschieht dies nie zornig, im Gegenteil, sie scheint ihn geliebt zu haben. Und an Liebe mangelte es nun wahrlich in ihrem Leben.
Die isländische Landschaft trägt zur Stimmung bei, aber vor allem die ärmlichen Umstände. Die Torfhäuser, in denen im Bathstuva die ganze Familie plus Gesindel wohnt; die kalten, klammen Räume, die Armut, die harte Arbeit, die zugigen Wände. Der ganze Bericht ist sehr plastisch und sehr körperbezogen; hier wird geschwitzt, geblutet und sich dreckig gemacht.
Der Vorteil des Hörbuchs ist, sich die isländischen Namen anzuhören. Was für ein schöner Klang! Gelesen hätte ich nur eine Ansammlung von Silben gesehen, aber die Wörter zu hören hat mich fast die innere Logik spürenlassen.
Die zwei Sprecher übernehmen die verschiedenen Berichte - einmal berichtet Agnes in Ich-Perspektive und dann wird aus der Sicht der anderen berichtet.
Agnes hat mir sehr leid getan und ich fand es schwer, ihrem Bericht zu folgen. Eine Wolke von Trostlosigkeit schien mir über dem Buch zu hängen. Schließlich ist von Anfang an klar, dass Agnes hingerichtet werden soll, ein Happy End ist nicht in Sicht, das weiß man, da Agnes historisches Schicksal bekannt ist.
Was ich mitnehme ist, dass es manchmal einfach nur wichtig ist, zuzuhören. Totis Entscheidung war genau richtig - nicht predigen, einfach zuhören und die Geschichte wirken lassen. Versuchen, den Menschen hinter der augenscheinlichen Tat zu sehen.
Lesen oder nicht?
Beklemmend, bedrückend, inspirierend und unglaublich nahegehend - eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit im Island des 18. Jahrhunderts.
Gesamtbewertung: ⭐⭐⭐⭐ Gute Unterhaltung
Das meinten andere
- monerl schrieb:Traurig und zunehmend ungläubig müssen wir dieses schreckliche Schicksal annehmen, als wäre es unser eigenes.
Bibliographische Daten
Ausgabe: Hörbuch
Dauer: 11:47 h
Version: Ungekürzte Ausgabe
Verlag:
Erscheinungsjahr/Auflage: 2014
Vorgelesen aus dem gleichnamigen Roman,
Taschenbuchausgabe 383 Seiten
ISBN: 978-3426304846
Affilitate Link: Amazon
Originaltitel: Burial Rites
Originalsprache: Englisch
Übersetzer:
Ich freue mich über eure Kommentare.
Hallo :)
AntwortenLöschenMir hat es auch gut gefallen, und wie du schon schreibst, es ist eine sehr beklemmende Lektüre. Ich mochte vor allem, dass man so viel über die Geschichte Islands erfahren hat.
Liebe Grüße,
Nicole
Hallo Nicole,
Löschenja, vor allem, das man erfahren hat, wie die Menschen damals lebten und wie verwoben die Gehöfte und Menschen miteinander waren. Schon so Sachen wie die Heiratserlaubnis kommen uns heute völlig fremd vor!
Liebe Daniela,
AntwortenLöschenich freue mich sehr, dass dir das Buch auch gefallen hat! Ich finde auch, dass die Geschichte als Hörbuch noch deutlich intensiver hervorkommt. Und das mit den Namen ist ein absoluter Vorteil, wenn der*die Sprecher*innen das können. Hatte schonmal den umgekehrten Fall, dass die Namen so falsch ausgesprochen wurden (einmal waren es kroatische Namen und ein anders Mal arabische), sodass ich die HB abgebrochen hatte, weil mich das tota nervte!
Danke für die Verlinkung!
GlG, monerl
Ja, ich denke auch, dass durch das Vorlesen die Geschichte nochmal prägnanter empfunden wird; es gibt eben kein "Weghören" und "Überfliegen" beim Hören.
LöschenIch fand auch die paar Gedicht im Buch toll zu hören!