Freitag, 21. Dezember 2018

[Rezension] Quality Land von Marc-Uwe Kling



QualityLand
Alles roger in Quality Land?
Willkommen in QualityLand, in einer nicht allzu fernen Zukunft: Alles läuft rund - Arbeit, Freizeit und Beziehungen sind von Algorithmen optimiert. Trotzdem beschleicht den Maschinenverschrotter Peter Arbeitsloser immer mehr das Gefühl, dass mit seinem Leben etwas nicht stimmt. Wenn das System wirklich so perfekt ist, warum gibt es dann Drohnen, die an Flugangst leiden, oder Kampfroboter mit posttraumatischer Belastungsstörung? Warum werden die Maschinen immer menschlicher, aber die Menschen immer maschineller?


Persönlicher Eindruck



Die Geschichte hat mich gleich von Anfang an in Ihren Bann gezogen. Sie spielt in einer nicht näher bestimmten Zukunft in Deutschland. Nur, dass es nicht mehr Deutschland heißt, sondern QualityLand. Viele erschreckende Entwicklungen hat der Autor in diese Geschichte projiziert. Über einige davon will ich hier reflektieren:

Die Dystopie in Auszügen


In QualityLand wurden mit der Umbenennung des Landesnamens auch die alten, überkommenen Familiennamen abgeschafft. Statt Meier, Müller oder Wagner heißt ein neugeborener Junge mit Familiennamen nach dem Beruf, den sein Vater zum Zeitpunkt der Geburt hatte, ein Mädchen bekommt den Beruf der Mutter als Familiennamen. So heißen die Charaktere im Buch "Peter Arbeitsloser", "Sandra Admin", "Aisha Ärztin" oder "Melissa Sexarbeiterin".

Anhand der Beispiele sieht man, wie man so bestimmte "Stände" zementiert. Es wird auch im Buch thematisiert. Eine "Melissa Sexarbeiterin" hat nicht die Chancen, die eine "Beate Teamleiterin" hat.

Ich selbst würde nach diesem System übrigens "Daniela Steuerfachangestellte" heißen, meine Mutter hieße "Renate Fleischthekenverkäuferin" und meine Tochter "Emma Technische-Redakteurin". 



Es gibt noch eine andere Klasseneinteilung in QualityLand. In QualityLand hat es sich eingebürgert, dass jeder Bürger ein bestimmtes Level hat. Es werden Punkte vergeben in Kategorien wie "Freude bei der Arbeit", "Engagement", "Partnerschaft", "Arbeit", etc. Man kann Level aufsteigen, aber genauso absteigen.
Die Leveleinteilung bestimmt, wie andere einen sehen. Es gibt Restaurant, die öffnen nur für Personen ab Level 36. Eine Partnerschaft mit jemanden, dessen Level stark unter dem eigenen ist? Schwierig... Die Menschen mit einstelligem Level heißen "Nutzlose", sie werden von den Drohnen geduzt und haben es sehr schwer in dieser Gesellschaft.
Das Levelsystem treibt die Selbstoptimierung auf ein neues Niveau. Wenn man anfängt, Dinge zu tun, die man eigentlich nicht von sich aus tun will, sondern weil man sich so "hochlevelt". Bedenklich. Aber logisch extrapoliert.


Die Charaktere


Mit Peter Arbeitsloser zusammen geraten wir in die Mühlen des Systems. Eigentlich war er mit dem, was ihm The Shop liefert, immer zufrieden. The Shop weiß, was die Kunden wünschen, bevor diese es selber wissen. Doch dann bekommt Peter einen rosa Delfinvibrator geliefert. Und diesen will er nun wirklich ganz  und gar nicht haben. Und The Shop nimmt ihn nicht zurück, das sei technisch nicht möglich. Die Frage ist: warum. Und die noch viel drängendere Frage ist, warum The Shop denkt, dass Peter einen rosa Delfinvibrator haben möchte.
Auf der Suche nach Antworten lernt Peter die attraktive Kiki und den Alten wissen. Peters Profil scheint falsch zu sein und deshalb lebt er in der falschen Welt. In einer Welt, die ihre Werbung, ihre Angebote, ihren Newsfeed - kurzum: alles, nach dem Profil eines Menschen personalisiert. Jeder lebt in seiner eigenen Welt. Und wenn das Profil nicht stimmt, dann ist auch die Welt falsch.

Ansätze davon sehen wir ja auch heute schon, bei Facebook oder bei Newsfeed. Ich sehe nicht mehr alles, sondern nur noch das, wovon der Algorithmus denkt, dass es mich interessieren könnte und so schränkt sich das Blickfeld immer weiter ein. Im Roman geht es so weit, dass Peter von einer großen Katastrophe mit hunderttausend Toten gar nichts mitbekommt, weil der Algorithmus der Meinung ist, dass es ihn wohl nicht interessiert. Oder zu interessieren hat.

Der Alte wirft in diesem Zusammenhang eine spannende Frage auf: Ist eine Diktatur, in der die Menschen gar nicht merken, dass sie in einer Diktatur leben, überhaupt eine Diktatur?


Ein zweiter Protagonist ist John of Us. John ist ein Androide und kandidiert für das Amt des Präsidenten. Sein Gegenkandidat ist Konrad Koch, ein Mensch. Der seltsame Fall tritt ein, dass ich als Leser den Androiden für wesentlich sympathischer und geeigneter halte als den Menschen. Konrad Koch bedient rechte Gesinnungen, verschreit alles nur als Lüge und hat einfachste Lösungen parat. John of Us hingegen durchdenkt alles gründlich und hat vor, die Wirtschaft so zu ändern, dass die Menschen glücklicher leben. Er hat gute, logische Ansätze - aber er kommt damit nicht gut an.
Die Herrschaft der Maschinen wird ansonsten im Roman eher kritisch gesehen. Wenn der Alte zu Bedenken gibt, eine Superintelligenz könnte allwissend und allmächtig werden, wir uns also quasi unseren eigenen Gott erschaffen. Und ist dieser Gott gütig, böse oder neutral? Wir wissen es nicht, aber es könnte "katastrophale Folgen haben". Und dann auf der anderen Seite John of Us, dem wir es wünschen, dass ER gewinnt, um uns zu regieren.


Der Sprecher


Der Sprecher ist der Autor selber. Er spricht die verschiedenen Personen abwechslungsreich. Peter ist mir vielleicht etwas zu vernuschelt, andererseits paßt es auch zu ihm. Und die Werbung und den Reiseführer, der zwischen den Kapiteln vorgelesen wird, liest er sehr fröhlich mit einer dezent sarkastischen Note. Im Hintergrund hört man übrigens manchmal Menschen lachen, man hat den Eindruck, dass der Autor seinen Roman auf einer Lesung oder in einer Satiresendung vorliest. Für ein Hörbuch ungewohnt, aber nicht störend.


Auswirkungen des Romans auf mich


Ja, die Dinge, die Peter passieren und den anderen, sie sind oft vordergründig lustig, aber sie regen tief zum Nachdenken an über den digitalen Zustand der Welt. Das war eine Geschichte, über die ich viel nachdenken musste und über die ich schon während des Lesens mein ganzes Umfeld immer wieder informierte ("Also, in QualityLand, da sind die Menschen ja in so Level eingeteilt, bla bla erklär", "Was? Das finde ich ja unglaublich, wie kann man die Unterschiede nur so zementieren..."). Das führte zu einigen interessanten Diskussion über künstliche Intelligenzen, darüber, wie wir von Algorithmen beherrscht werden oder über den Zustand der Regierung insgesamt.




Lesen oder nicht?


Klug, lustig, und philosophisch: Mit Quality Land ist Marc-Uwe Kling ein Roman von bleibendem Wert gelungen. Völlig zu Recht ein Bestseller.

⭐⭐⭐⭐⭐



Bibliographische Daten


Titel: Quality Land
Autor: Marc-Uwe Kling
Ausgabe: dunkel (es gibt eine dunkle und eine helle Ausgabe; diese unterscheiden sich durch unterschiedliche Werbung zwischen den Geschehnissen)
Genre: fantastische Literatur, Dystopie, Satire


Taschenbuchausgabe: 384 Seiten
Verlag: Ullstein Taschenbuchverlag
Erscheinungsjahr/Ausgabe: September 2017
ISBN-13: 978-3548291871

Hörbuchausgabe, ungekürzt
Dauer: 8:26
Sprecher: Marc-Uwe Kling
Verlag: HörbucHHamburg HHV GmbH


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1 Kommentar:

  1. Das steht auch schon lange auf meiner Wunschliste, nächstes Jahr wird es dann auch endlich mal gelesen ^^

    Weihnachtliche Grüße
    Vivka

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